Verbrauchervertrauen

Es gibt sie nicht mehr, die uninformierten Verbraucher. Dafür haben wir es heute mit dem konfusen Verbraucher zu tun. Es gibt mehr Medienangebote, als man jemals nutzen kann. Um die Aufmerksamkeit der Konsumenten kämpfen Produzenten und Händler, aber auch Politiker sowie die Medienanbieter selbst. Orientierung wird zum Luxus. Was ist passiert?

Die Medien verlieren ihren Charakter und gewinnen an Bedeutung. Wir befinden uns in einem Strukturwandel von der Industriekultur zur Netzwerkgesellschaft. Digitale Netzwerkmedien entwickeln sich zur Infrastruktur des 21. Jahrhunderts. Information, Transformation und Produktion bündeln sich in einem Kanal. Gleichzeitig nutzen immer mehr Menschen Computer, Smartphones oder Tablets als private Zugangstechnologie zum Internet. Diese Personal Media verschiebt die Macht zwischen Unternehmen und Konsumenten. Aber auch Bürger begegnen jetzt dem Staat auf Augenhöhe.

Aus Monologen werden Dialoge. Märkte sind Gespräche - zwischen Produzenten und Konsumenten, zwischen Bürgern und Staat. Diejenigen, die Geheimnisse haben, müssen jederzeit damit rechnen, dass jeder der Zugang zum Internet hat, Öffentlichkeit herstellen kann. Das ändert die Spielregeln. Verbraucherschutz organisierte Informationen und  Abhängigkeit. Verbrauchervertrauen setzt auf Kommunikation und Partnerschaft.

Prof. Peter Wippermann

Gründer Trendbüro und Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität, Essen

Der Shop der Zukunft: Mit Customer-Dynamics auf den nervösen, aber hochgradig selbstbewussten Konsumenten reagieren.

Wer sich mit dem Ladendesign der Zukunft beschäftigen möchte, muss sich die Bedürfnisse der Menschen genauer anschauen. Nie geht es beim Einkaufen nur um die reine Befriedigung von Konsumwünschen. Stattdessen sortieren Shopper die Geschäfte nach den Erlebnissen, die sie sich wünschen. So gibt es Läden, die Simplexity versprechen, also helfen, den komplexen Alltag durch Zeit- oder Geldersparnis zu entzerren, und daneben all jene, die als Quelle von Ideen und Inspirationen dienen. Von „Erlebnisshopping“ sprach man in der Vergangenheit in diesem Zusammenhang, weil der Einkauf selbst zum Event und das Produkt zur Nebensache wurde. Und subsumierte unter diesem Begriff so unterschiedliche Ladenkonzepte wie das der unzähligen Shopping-Malls oder immer gleichen Hard-Rock-Cafés. Doch mit dem Wertewandel hat sich auch das Bild des perfekten Einkaufs und damit des Ladengeschäfts gewandelt.

 

Die Komplexität des Alltags wird für die Konsumenten weiter steigen

Durch den wachsenden Anspruch auf Individualität werden persönliche Entscheidungen vielfältiger und kurzfristiger. Die Eigenverantwortung steigt und wird mit Pragmatismus beantwortet: Geld kauft Zeit. Zeit wird als Wert wichtiger, denn es ist die einzige natürlich begrenzte Ressource, die Menschen haben. Nachdem die persönliche Gestaltungsfreiheit in der Freizeit selbstverständlich geworden ist, erreicht jetzt die Individualisierung die Arbeitszeit. Die Flexibilisierung der Anwesenheitspflicht am Arbeitsplatz und persönliche Arbeitszeitkonten sind nur die ersten Schritte gewesen, um die gewohnte Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit zu überwinden. Der neue Begriff für die Fusion von Arbeits- und Freizeit heißt Eigenzeit. Eigenzeit ist nicht Freizeit, sondern Zeitfreiheit: Die Erfolgreichen disponieren über knappe Zeit und delegieren. Sie geben Geld aus, um Zeit zu sparen. Deshalb kaufen sie sich, und zwar mit jedem Service, Zeit. Die Loser aber haben Zeit im Überfluss. Sie geben Zeit aus, um Geld zu sparen.

Diese widersprüchlichen Verhaltensmuster polarisieren die Märkte von morgen. Wenn die Zeit sehr knapp ist, ist es unökonomisch, lange über kleine Geldbeträge nachzudenken – das beflügelt Investitionen in die mediale Vernetzung. Der Siegeszug der mobilen internetbasierten Kommunikation ist ein sicheres Zeichen für die schnelle und erfolgreiche Entwicklung der Netzwerkgesellschaft. Die Netzwerkgesellschaft ist die dominante Superstruktur der globalen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die mit einer Vernetzung von Information, Technologie, Kapital und Markt beschrieben werden kann.

Die wachsende Diskontinuität verändert Unternehmen und Shops durch Individualisierung und Globalisierung

Persönlich und in Echtzeit auf Konsumentenwünsche reagieren zu können wird zur entscheidenden Herausforderung für die Wirtschaft in der globalen Netzwerkgesellschaft. Die egozentrischen Anforderungen von Konsumenten an Verkäufer verändern die Wertschöpfungskette weltweit. Neue Unternehmensmodelle entstehen. Konsumenten haben mehr Autonomie und Selbstbewusstsein durch das Internet bekommen, als man sich das auf Unternehmensseite bisher vorstellen konnte. Die Transparenz von Angeboten wird durch Preissuchmaschinen alltäglich geschaffen und genutzt. Das Austauschen von Erfahrungen ist durch das Web 2.0, mittels Social-Media-Plattformen, Communities oder Twitter, kaufentscheidend geworden. Die Macht der Konsumenten wächst weiter, denn das Internet wird sehr schnell mobil. Das amerikanische Technologie- und Marktforschungsunternehmen Forrester rechnet damit, dass bereits in fünf Jahren die Hälfte der globalen Internetdaten mobil genutzt werden kann. Augmented Reality wird dann zum Alltag gehören. Google Street View gibt schon heute einen Vorgeschmack auf die Möglichkeiten der mobilen Anwendung von Augmented Reality auch für den Einkauf. Persönliche Angebote, vor Ort und in Echtzeit, verbinden die reale Welt mit den virtuellen Angeboten des Internets.

Customer-Centricity ist die Basis des erfolgreichen Shops der Zukunft

Neue Unternehmen, die das Internet bereits bei seiner Gründung als Infrastruktur genutzt haben, sind heute die globalen Innovations- und Marktführer der Netzwerkökonomie. Sie haben ihre Unternehmen auf Customer-Centricity gegründet. Ihre Marktplätze sind branchenübergreifend, ihre Beziehungen und Kenntnisse der Konsumenten aber sind fokussiert auf den einzelnen Kunden und das weltweit. Hier sind die ersten Organisationsmodelle für Firmen der entstehenden Netzwerkökonomie zu erkennen.

Inside-out war die Zielorientierung einer effizienten Matrixorganisation der Industriekultur. Ständig neue Angebote der Warenwelt warben um die Aufmerksamkeit der spontanen Kundschaft.

Nach 150 Jahren Erfolgsgeschichte verändern sich die Spielregeln: Beziehungen statt Produkte werden der Schlüssel zum ökonomischen Erfolg. Nicht mehr Qualität und Preis entscheiden über die Märkte, sondern individuelle Angebote an Konsumenten in Echtzeit. Die Shops sind dabei zu lernen, wie sie auf Konsumentenwünsche spontan reagieren können.

Outside-in ist der Quellcode des Neuen – die Wünsche der Konsumenten können sich permanent wandeln, die Beziehung zum Kunden aber bleibt langfristig konstant.

Mit Customer-Dynamics auf den nervösen, aber hochgradig selbstbewussten Konsumenten reagieren

Medienkompetenz, also der selbstbestimmte Umgang mit Medien, ist die Zeitgewinntechnik der Netzwerkgesellschaft. Statt Anwesenheit genügt kommunikative Erreichbarkeit. Für Konsumenten ist der individuelle mobile Zugang zum Internet über Laptops, Tablet-Computer oder Smartphones bereits selbstverständlich geworden. Allein in Deutschland werden 120 Millionen Handys von 82 Millionen Einwohnern aktiv genutzt. Davon sind zehn Millionen Geräte bereits heute internetfähige Smartphones.

Die private Medienkompetenz hat sich schneller entwickelt als die entsprechende Fähigkeit von Unternehmen. Personal-Media-Angebote ermöglichen Konsumenten ein Leben in zwei Wirklichkeiten. Die Geschäftswelt wird sich diesen veränderten medialen Rahmenbedingungen konsequent anpassen. Das mobile Internet ist die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts und verbindet Kommunikation, Transaktion und Produktion in einem Medienkanal. Die reale Welt des Seins wird sich zunehmend durch die virtuelle Welt des digitalen Scheins verändern.

Unternehmen und deren Geschäftsstellen müssen Flexibilität und Dynamik beweisen, um sich in sich schnell entwickelnden und immer komplexer werdenden globalen Wettbewerbssituationen behaupten zu können. Es wird zur Reorganisation von Angeboten kommen, um die unberechenbaren und mobilen Kunden in Echtzeit zufriedenstellen zu können.

Das Ziel der Reorganisation heißt Resilenz – die aktive Potenz, mit Elastizität, Widerstandsfähigkeit und Innovationen auf äußere Umwelteinflüsse reagieren zu können. Ein anschauliches Modell dafür ist die Fähigkeit von Stehaufmännchen, sich aus jeder beliebigen Lage wieder aufzurichten.

Shops müssen multioptional auf die Dynamik der Kunden reagieren

Der ständige Austausch von Interaktionen und Transaktionen von Konsumenten mit Unternehmen wird über Customer-Dynamics beschrieben. Die Integration von Online- und Stationärgeschäft wird für immer mehr Händler zur Herausforderung.
Webbasierte Anwendungen, wie „Service Cloud“ von salesforce.com, filtern Kundenanfragen aus den verschiedensten Kanälen des Internets, E-Mail, Facebook, Twitter, aber auch aus der Mobilfunkkommunikation, bündeln diese und leiten sie automatisch an die Servicemitarbeiter weiter. Mit „Service Cloud“ werden alle Kundeninformationen sowie die Servicehistorie im Internet gespeichert und verwaltet. Alle Daten sind in Echtzeit abrufbar und durch mobile Funktionen an jedem Ort der Welt unabhängig vom Gerätetyp verfügbar.

Mobile Payment für mobile Konsumenten von morgen

Trotz der zögerlichen Entwicklung elektronischer Rechnungsströme im B-to-B-Bereich entwickelt sich das mobile E-Payment zwischen Unternehmen und Konsumenten rasant. Mobile Bezahlsysteme, die über Smartphones eingesetzt werden können, werden die eine Milliarde Kreditkarten, die allein in den USA in Umlauf sind, schon bald ersetzen, prognostizierte die „Businessweek“ im August 2010.

Einer der wesentlichen Wachstumstreiber sind dabei kontaktlose Bezahlmöglichkeiten auf Basis der Near-Field-Technologie direkt am POS. Um dieses Potenzial zu erschließen, bedarf es einer Strategie, die den Kundennutzen in den Vordergrund stellt und dem Handel einen Vorteil gegenüber bestehenden Zahlungsmöglichkeiten bietet. Für 2014 prognostiziert die Unternehmensberatung Arthur D. Little ein Marktpotenzial für mobile Transaktionen von insgesamt 7,2 Milliarden Euro allein in Deutschland. Denn auch wenn es bislang noch an den zur Verfügung stehenden Geräten mangelt, wird sich bis dahin auf diesem Gebiet eine ganze Menge getan haben. So haben sich in den USA unlängst AT&T, T-Mobile USA und Verizon Wireless verbündet, um eine M-Payment-Lösung auf Basis der Near Field Communication-Technologie zu entwickeln. Auch Apple hat jetzt Experten für die Near Field Communication-Technologie engagiert und entsprechende Patentanmeldungen im Bereich Payment vorgenommen. Das iPhone könnte also auch hier eine Vorreiterrolle einnehmen. In den USA jedenfalls hat Apple bereits eine App auf den Markt gebracht, die das Bezahlen mit dem Handy, die Speicherung von Kundenwünschen sowie ein eigenes Loyalitätsprogramm ermöglicht.

Individualisierung und Dialogisierung für einen neuen Lifeflow

Customer-Lifetime-Value heißt die Währung des Erfolges für Unternehmen in der Netzwerkökonomie und nicht mehr Mass-Market wie in der Industriekultur. Für die Retailer ist es wichtig zu erkennen, dass die permanente Beziehung zum Kunden zum alles entscheidenden Wirtschaftsfaktor wird. Medien haben ihren Charakter geändert. Sie helfen nicht mehr in erster Linie, Produkte zu verkaufen, sondern entwickeln sich zum Zentralnervensystem eines Unternehmens. Aus der Strategie des Abverkaufs von Produkten wird ein Beziehungsmanagement der gemeinsamen Interessen. Die neuen Prozesse zielen auf individuelle Dialoge mit jedem einzelnen Kunden, und das weltweit. Nicht die Quantität der Information, sondern die Qualität der Kommunikation führt zum Erfolg.

Der anschwellende Datenstrom ist über die Ufer der traditionellen Medienkanäle getreten. Die Deiche zwischen Kommunikation, Transaktion und Produktion sind unter den Bedingungen des Internets gebrochen. Die Grenzen von Arbeit und Freizeit verschmelzen zu einem einzigen Flow. Ein virtuelles Doppelleben zwischen Workflow und Lifeflow bietet unbekannte Chancen und Risiken. Für die nächsten Jahre wird es besonders darauf ankommen, dass man sich nicht nur für die neuen Technologien begeistert, sondern vor allem ihre kulturelle Akzeptanz analysiert. Shops können von der neuen digitalen Real-Time-Analyse des Lifeflows ihrer Kunden enorm profitieren: Geoinformationen, Bewegungsbilder, hoch individualisierte Bedürfnis- und Konsumprofile und das steigende Involvement der Konsumenten mit ihren Marken im Social Web unterstützen allesamt das Beziehungsmanagement zwischen Anbietern und souveränen Konsumenten.

Das Shop-Design in der Netzwerkökonomie

Was bedeuten diese Entwicklungen aber jetzt konkret für das Ladendesign der Zukunft? Die Shops der Zukunft sind vernetzte Customer-Dynamics-Shops. Denn so unterschiedlich die Bedürfnisse der Menschen sind, so multivariant müssen Retailer in den nächsten Jahren darauf reagieren. Unabhängig davon, für welche Umsetzung man sich dabei entscheidet: Die Einkaufsstätten der Zukunft sind Treffpunkte. Ihr Angebot reicht weit über die Befriedigung der reinen Konsumbedürfnisse hinaus. Entsprechend der angestammten oder angestrebten Käuferschicht sollte jeder einzelne Shop dem Menschen dabei helfen, seine Community mit seinen Medien zu treffen. Das funktioniert im Lebensmitteleinzelhandel, wo es mit „Temma“ ein neues Pilotgeschäft der Rewe-Gruppe in Köln gibt, bei dem ein Sortiment von Bioprodukten, Naturkosmetika und vielen regionalen Produkten mit einem marktplatzähnlichen Bäcker-, Deli- und Café-Bereich kombiniert wird; es funktioniert in ländlichen Regionen, wie es die bislang 25 „Markttreffs“ in Schleswig-Holstein zeigen, die es geschafft haben, sich als Dorfladen alter Provenienz mit neuem Add-on zu positionieren: Das Verkaufssortiment wird mit Serviceleistungen und Zusatzangeboten verschiedenster Art ergänzt. Zum Mittagstisch für Schüler und Senioren kommt hier die Paketannahme und der Medikamentenlieferservice, der in Zukunft sicher über interaktive Touchscreens abgewickelt werden wird. Und es funktioniert in den Städten.

Das Ladengeschäft der Zukunft wächst über sich selbst hinaus

In den Metropolen zeigen Beispiele von gastronomischen Einrichtungen, Shops und deren Hybrid-Angeboten, dass die Netzwerkgesellschaft längst ihre neuen It-Spots gefunden hat, an denen sie mit der Unterstützung intelligenter Lifeflow-Technologie ihre sozialen wie konsumatorischen Bedürfnisse befriedigen kann. Auf dem Gastrosektor sind hier etwa das neu eröffnete „Vogue-Café“ in Moskau zu nennen, wo die Speisekarte in Form von iPads gereicht wird, das Restaurant „Inamo“ in London mit einem Menüvorschlag, der zu Beginn des Abends auf die Tischplatte projiziert wird, oder die Betreiber von „Yo Munch Frozen Jogurt“ in Berlin, die ihre Produkte aus einem nostalgisch pastellgrün gestrichenen Wagen heraus in den Straßen der Hauptstadt verkaufen und ihre wachsende Fan- und Kundengemeinde über den jeweiligen Standort via Facebook auf dem Laufenden halten. Auch „KOGI BBQ“ aus Los Angeles bietet seine koreanisch-mexikanischen Tacos aus verschiedenen Wagen heraus an. Über Twitter erfährt man, wo diese gerade unterwegs sind und wie lang die Schlange hungriger Kunden ist, die man davor zu erwarten hat.

Aus dem Point of Sale wird künftig ein Point of Networking

Die Telekom beweist, dass auch sie die Anforderungen der Netzwerkgesellschaft in ihre neuen Shop-Konzepte zu integrieren versteht. Mit dem Laden „4010“ wurde speziell die junge Zielgruppe ins Visier genommen. In diesem Laden, der sich in einem umgebauten Plattenbau in Berlin-Mitte befindet, erinnert nur noch wenig an einen Verkaufsort und alles viel mehr an einen szenigen Treffpunkt für die Telekom-Fan-Community: Die Mitarbeiter tragen coole Mode von Berliner Designern, eigens entworfene Möbel sorgen für eine Relax-Atmosphäre, und an Europas erstem Multitouch-Tisch können die Besucher bei einem Glas Tee Klingeltöne komponieren und sich kostenlos auf das eigene Handy spielen. Abends wandelt sich das „4010“ dann in eine Event-Location, in der Konzerte, Lesungen oder Kunstausstellungen stattfinden. Diese multimedial unterstützte Weiterentwicklung der alten Eventshopping-Idee zeigt, dass der Einkauf als Erlebnis nach wie vor seine Berechtigung hat – dabei aber nach den neuen Spielregeln gestaltet werden muss. Weitere Beispiele für Customer-Dynamics-Shops sind die Apple-Stores, in denen nicht nur hemmungslos getestet und ausprobiert werden kann, sondern in die man nach dem Kauf zu Workshops und Software-Lehrgängen zurückkehrt, oder auch die „Clever Stories. Casual Shopping“-Tournee von Marc O’Polo, bei der sich die Shops in Lesebühnen und Treffpunkte für Schauspieler und ihre Lieblingslektüre verwandeln.

In den Shops wird die virtuelle Welt des digitalen Scheins zu realem Sein

Der ideale Shop der Zukunft kombiniert diese Elemente multimedialen Lifeflow-Netzwerkens. Es gilt, von den Online-Shops zu lernen, die in mancher Beziehung die Wünsche ihrer Kunden inzwischen sensibler umzusetzen verstehen. Warum nicht die Vorteile des Online-Shoppings in die Filialen holen? Mit Computerterminals für die virtuelle Anprobe auch im stationären Shop mit Equipment, das den Preisvergleich, die Barcode- oder RFID-Auswertung direkt vor Ort ermöglicht; statt die Kunden zu verscheuchen, die mit ihrem Smartphone einen Barcode abfotografieren. Warum nicht das Sortiment nach einer neuen Logik sortieren, nach Style oder Marke oder gleich nach Farbe? Die Entwicklung hin zu einer netzwerkenden Gesellschaft lässt sich nicht aufhalten. Kommunikation und Networking gehören zu den wichtigsten Bedürfnissen der Menschen. Medien, aber auch andere Produkte und ganze Shops, werden künftig daran gemessen werden, inwieweit sie dabei eine Hilfe sind. Das Shop-Design der Zukunft läuft jenseits der alten Grenzen zwischen inszeniert und authentisch. Auch das gute, wahre Leben kann heute höchst professionell und charmant mittels Shop-Design nachgestellt werden, Beispiele von „Mutterland“ bis „Manufactum“ beweisen das. Costumer-Centricity ist der Grundsatz einer zukunftsfähigen Informationslogistik in den Shops. Die Zukunft hat längst begonnen, bauen wir sie in unseren Läden nach.

Prof. Peter Wippermann, Gründer Trendbüro und Professor für Kommunikationsdesign Folkwang Universität, Essen

Patienten verändern die Markenbildung im Gesundheitswesen

Die Privatisierung der Gesundheit ist nicht mehr aufzuhalten. Und das in einem doppelten Sinne: Immer mehr Menschen investieren aus eigenem Antrieb in eine optimale Gesundheitsvorsorge. Gleichzeitig nimmt die Privatisierung der Anbieter ebenfalls zu. Das Verhältnis von öffentlichen und privaten Trägern wird sich bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu 1991 exakt umgekehrt haben.

 Seit einigen Jahren läuft eine Privatisierungswelle durch die deutsche Krankenhauslandschaft. Big Player betreten den Markt und optimieren die Kostenstrukturen der einzelnen Kliniken. Ausländische Unternehmen drängen auf den viel versprechenden deutschen Markt. Die Zahlen des statistischen Bundesamtes und die Prognose der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young belegen, dass wir uns definitiv vom Modell des öffentlichen Kreiskrankenhauses verabschieden. Nur noch 15 Prozent der Krankenhäuser werden dann in öffentlicher Hand liegen, 45 Prozent von privaten Unternehmen geführt. Neben einer Vielzahl von strukturellen Veränderungen wird sich damit auch das Image der Kliniken verändern. Aus austauschbaren Krankenhäusern werden individuell geführte Gesundheitshäuser. Jede Klinik wird zu ihrer eigenen Marke.

 

Andere Bereiche des Gesundheitssystem waren schon früher von der Notwendigkeit der Markenbildung betroffen

Diese Entwicklung weg vom Einheitsweiß und hin zu einer individuell aufgebauten und geführten Klinikmarke ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Zeigt sie doch, dass der Wettbewerb um die optimale Versorgung, die besten Mitarbeiter und die angenehmste Atmosphäre auch die Krankenhauslandschaft erreicht hat. Eine Entwicklung, die aus dem deutschen Gesundheitssystem längst nicht mehr wegzudiskutieren ist. Niedergelassene sehen sich diesem Wettbewerb ausgesetzt, Pharmafirmen aber auch Apotheken oder medizinische Therapeuten haben in den letzten Jahren erfahren, dass der Patient selbst darüber entscheiden möchte, wo er sich behandeln, wie er in seine Gesundheit investieren möchte. Die nächstgelegene Arztpraxis oder die Apotheke um die Ecke können sich nicht mehr darauf verlassen, automatisch von den Patienten aufgesucht zu werden. Im Gegenteil haben diese begonnen, jede mögliche Entscheidung im Bereich Gesundheitsvorsorge oder Krankheitsbekämpfung zu überprüfen und bewusst zu treffen.

 

In dem Moment, in dem Gesundheit mehr ist als nicht krank zu sein, müssen sich die Anbieter wandeln

Auch wenn es im stationären Bereich noch die wenigsten Wahlmöglichkeiten für die Patienten gibt – weil es nicht überall ein Krankenhaus gibt, weil die Menschen auf Zentren und Spezialisierungen angewiesen sind oder schlichtweg zu schwach um noch aktiv eine Entscheidung zu fällen – so können sich die Kliniken doch nicht auf dieser Sonderposition ausruhen. Denn es sind die Patienten selbst, die diesen Prozess der Markenbildung im Gesundheitswesen angestoßen haben. Ihre neuen Bedürfnisse in Bezug auf die Optimierung des eigenen Gesundheitszustands sind es, die den Stein ins Rollen gebracht haben. Gesundheit ist von der Abwesenheit von Krankheiten zu einem Synonym für das persönliche Wohlbefinden geworden, und dieser Wertewandel verändert alle Märkte.

 

Unsere künftige Dienstleistungs-Ökonomie ist auch eine Healthstyle-Ökonomie

Wir leben in der Gesundheitsgesellschaft. Niemals zuvor hat Gesundheit einen so hohen Stellenwert eingenommen wie heute. Der Gesundheitsmarkt ist bereits heute einer der wichtigsten Eckpfeiler der Wirtschaft: In Deutschland umfasst er inzwischen ein Volumen von 263 Milliarden Euro, das sind 10,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bis zum Jahr 2020 wird der Gesundheitsmarkt auf etwa 453 Milliarden Euro anwachsen. Rund um Ernährung, Körper, Sport und Lebensqualität entstehen neue gigantische Nachfragemärkte. Gesundheit ist eine Schlüsselressource in der Gesellschaft von morgen und ein bevorzugtes Konsumgut und Lifestyle-Produkt. In diesem Sinn verwandelt sich der alte Lifestyle in einen neuen Healthstyle.

 

Die Grundprinzipien von Eigenverantwortung und Self Design treffen das Gesundheitssystem ins Mark

Denn das Bedürfnis der Menschen, durch individuelles Gesundheitsmanagement zufriedener und glücklicher zu leben und ihr eigenes Leben zu optimieren, wird für sie immer wichtiger. Momentan erleben wir den Beginn einer Ära der  individuellen Selbstverantwortung in vielen Gesellschaftsbereichen, besonders jedoch auf dem Gebiet der Gesundheit. Symptombekämpfungsmedizin wird von proaktiver Gesundheitsvorsorge und komplementären Behandlungsformen abgelöst. Aus Patienten werden Patientenkunden und gesundheitsbewusste Healthstyle-Konsumenten. Immer mehr Menschen – vor allem in Europa und Nordamerika – legen großen Wert auf Gesundheit sowie körperliches und seelisches Wohlbefinden. Gleichzeitig melden die Gesundheitskassen in den meisten Ländern der Welt Ebbe und Notstand. In Deutschland sind die Gesundheitsausgaben in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen – das betrifft sowohl die laufenden Kosten, die den Löwenanteil ausmachen, als auch die Investitionen.

 

Strukturwandel trifft Megatrend: Die Folge ist der Wachstumsmarkt Gesundheit

Um im internationalenWettbewerb in Zukunft weiterhin konkurrenzfähig bleiben zu können, sind hierzulande fraglos weitere Investitionen unvermeidlich. Die private Gesundheitsvorsorge wird andererseits das Gesundheitssystem leicht entlasten können. In den nächsten Jahren müssen die Weichen in zwei Richtungen gestellt werden: Entlastung des Gesundheitssystems auf der einen Seite, andererseits gezielte Investitionen in den Gesundheitsmarkt, der einen Aufschwung erleben wird wie kaum ein anderer Markt.

 

Der Boom der Gesundheit geht vom Zweiten Gesundheitsmarkt aus

Die Unternehmensberatung Roland Berger hat den so genannten Zweiten Gesundheitsmarkt (alle privat finanzierten Gesundheitsdienstleistungen und Produkte) analysiert. Tenor: Der Zweite Gesundheitsmarkt, auf dem Konsumenten proaktiv ihre Gesundheit managen, ist ein Wachstumsmarkt mit einem jährlichen Volumen von aktuell 64 Milliarden Euro. Und er wird in Zukunft noch stärker florieren. Dabei ist der Konsum von Gesundheit inzwischen stark demokratisiert. Die Nachfrage auf dem Zweiten Gesundheitsmarkt wird nicht nur durch Besserverdienende getragen. Auf dem Zweiten Gesundheitsmarkt finden sich Angebote für alle Einkommensklassen – von den Bio-Produkten bei Lebensmittel-Discountern über Discount-Fitness-Studios bis hin zu Gesundheitsreisen, die z.B. von den gesetzlichen Krankenkassen vermittelt und bezuschusst werden. Laut der Studie gibt jeder Erwachsene in Deutschland mittlerweile pro Jahr zusätzlich zur Krankenversicherung 900 Euro für Vorsorgeuntersuchungen, alternative Medizin, Wellness, Sport und gesunde Ernährung aus.

 

Die deutschen Kliniken genießen einen Vertrauensvorschuss auf Seiten der Patienten – noch

Ein Beispiel aus den USA zeigt, dass dieser zweite Gesundheitsmarkt dort auch schon den Klinikmarkt betrifft. Mit den Retail Health Kliniken nämlich hat sich ein privat finanziertes Krankenhaussystem etabliert, dass zumindest bei leichteren Erkrankungen eine ernstzunehmende Alternative zu den staatlichen Kliniken darstellt – und dabei ganz auf Patientenfreundlichkeit und Service ausgerichtet ist: Rund um die Uhr geöffnet, mit einer überaus freundlichen Krankenschwester am Empfang und einem klar ersichtlichem, kostengünstigen Angebot, das sich auf einer Art Speisekarte wie bei McDonalds über den Köpfen der Patienten abgedruckt findet – liegen diese privaten Notfallambulanzen auch noch ganz in der Nähe der meisten Patienten: in großen Supermärkten, Drogerien oder Warenhäusern. Eine Krankenschwester, seltener ein Arzt kümmern sich hier um die Erstversorgung von kleinen Wunden, um Insektenstiche, sie führen Impfungen durch oder verschreiben Fieberzäpfchen, die gleich in der Apotheke oder am Automaten einen Gang weiter erworben werden können. Wer schon einmal eine halbe Nacht im Notfall-Wartebereich seines örtlichen Krankenhauses verbracht hat, wird dieser Idee Positives abgewinnen können. Und doch bleiben deutsche Patienten skeptisch. Die Ansprüche, die sie an eine Behandlung – ob in der Klinik oder einer Praxis – stellen, sind einfach andere.

 

Richtig zufrieden sind die Deutschen mit ihren Krankenhäusern trotzdem nicht mehr

Über diese Ansprüche erfährt man Genaueres, wenn man sich anschaut, welche Kritikpunkte die Bundesbürger am derzeitigen Gesundheits-System haben: Die Ärzte haben zu wenig Zeit für den einzelnen Patienten, wird da mokiert, es gibt zu wenig Pflegepersonal, deutsche Krankenhäuser sind zum Massenbetrieb verkommen, und man ist nur eine Nummer – aber auch: Es gibt zu wenig Ärzte bzw. Fachärzte in den Kliniken. Diese Kritikpunkte werden seit vielen Jahren regelmäßig von den Demoskopen von Allensbach abgefragt, die Zustimmung liegt inzwischen bei Werten zwischen 25 und über 50 Prozent (noch in den 90er Jahren lagen sie jeweils um rund 20 Prozentpunkte darunter). Dreht man diesen Ansatz um, so müsste das optimale Krankenhaus, die optimale Praxis nach Meinung der Patienten über sehr viel mehr Personal verfügen, und die gesamte Betreuung müsste individualisierter ablaufen. Dass sich das mit dem Sparzwang, den allen Beteiligten im deutschen Gesundheitswesen unterliegen, nicht vereinen lässt, leuchtet sofort ein. Doch gibt es nicht auch einfachere Wege, wie diese Wünsche umgesetzt werden könnten?

 

Es gibt zu viele Kliniken in Deutschland – oder zu viele mit dem gleichen Leistungsspektrum?

Die gibt es mit Sicherheit, und sie sind auch bitter nötig. Die Gesundheitsreformen der letzten Jahre haben schließlich dazu geführt, dass Kliniken und – in den Ballungsgebieten auch niedergelassene Ärzte – in eine Konkurrenzsituation untereinander geraten sind. Allein die Zahl der Kliniken ist von 3.500 im Jahr 1970 (nur in West-Deutschland) auf derzeit knapp über 2.000 (in Gesamt-Deutschland) gesunken. Experten gehen davon aus, dass die Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland bis 2020 um weitere 20 Prozent zurückgehen wird. „Das Nachsehen haben dabei vor allem die kleineren Kliniken mit weniger als 300 Betten. Sie werden den Kampf ums Überleben vermutlich nur gewinnen, wenn sie sich extrem spezialisieren oder unter das Dach eines Klinikverbundes schlüpfen“ (Healthcare Marketing 12/09).

 

Die Sparmaßnahmen zielen auf das betriebswirtschaftliche Ergebnis – dabei hängt genau das auch von menschlichen Faktoren ab

Nach Jahrzehnten des subventionierten Wirtschaftens wurden die Verantwortlichen bereits in den 90er Jahren massiv vor die Entscheidung gestellt, in ihrem Haus künftig Gewinn (oder zumindest weniger Verlust) einzufahren oder mit der möglichen Schließung konfrontiert zu werden. Und auch wenn sich ökonomisches Handeln und die Heilung Schwerkranker auf den ersten Blick kategorisch ausschließen, offenbaren sich auf den zweiten Blick eben doch eine ganze Reihe an Misständen und Fehlorganisationen, deren Behebung nicht nur Geld sparen hilft, sondern als Prozessoptimierung auch dem Wohl von Patient und Personal zu Gute kommt.

 

Im Bereich der Prozessoptimierung passiert viel – zur Markenbildung aber gehört noch mehr

Dazu zählen logistische Abläufe genauso wie IT-Dienstleistungen, die Rückbesinnung auf die Kernkompetenzen aller Mitarbeiter und selbstverständlich auch der Patientenbetreuung und -kommunikation. Viele Klinikverantwortliche haben diese Notwendigkeiten längst erkannt: Landauf, landab laufen Feldversuche, bei denen zum Beispiel hauswirtschaftliches Personal die Pflegekräfte entlasten, die sich dann wieder auf die direkte Pflege und die Patientenbetreuung konzentrieren können – und so ihrerseits die Ärzte stärker entlasten. Es gibt Initiativen zur Optimierung der Datenaufbereitung bis hin zu On-Bed-Systemen, bei denen die Kranken- und Medikationshistorie eines jeden Patienten auf Knopfdruck abrufbar ist; es gibt Versuche, durch den Aufbau von Netzwerkstrukturen den Einkauf (von Heil- und Hilfsmitteln bis hin zum Catering) zu optimieren; und selbstverständlich verfügt heute so gut wie jede Klinik über eine Website im Internet.

 

Wer sich mit der Markenbildung seiner Klinik beschäftigt, darf die Niedergelassenenen nicht aus den Augen verlieren

Und das ist auch tatsächlich notwendig: „Die Kunden im Gesundheits- und Pflegemarkt entscheiden immer häufiger selbst darüber, in welche Einrichtung sie gehen. Niedergelassene Ärzte spielen dabei als Meinungsführer eine besondere Rolle und werden schon heute in vielen Fällen systematisch über das Leistungsprofil, die Qualitätsstandards und die Philosophie der Einrichtungen verschiedener Träger informiert. Wer hier nicht mithalten kann, verliert den Wettbewerb um Patienten und ein Image, das auch öffentliche Stellen überzeugt, die häufig über den Fortbestand von Einrichtungen entscheiden. Die Gesamtbedeutung, die diese als Versorger und Arbeitgeber für eine Region haben, spielt eine entscheidende Rolle“, analysiert man in der Zeitschrift „Healthcare Marketing“ (12/09).

 

Aus dem Zufallsprodukt Klinikmarke muss ein Gesamtkonzept werden

Damit wird auch angedeutet, was künftig nicht mehr tabu sein darf: Der Aufbau einer eigenen Marke, für Arztpraxen oder Apotheken aber genauso auch für Krankenhäuser. Denn gerade in einer alternden Gesellschaft steigt die Zahl der Menschen mit planbaren, standardisierten und einmaligen Eingriffen überproportional. Das bedeutet aber auch: Diese Patienten lassen sich künftig Zeit mit der Entscheidung, in welcher Klinik sie diesen Eingriff oder jene Therapie durchführen lassen. Und sie lassen sich dabei beraten. Passiv durch den Internetauftritt des Krankenhauses, durch Patientenbroschüren oder sogar eine eigene Klinikzeitschrift, wie sie einige große Häuser bereits publizieren. Und aktiv, in dem sie sich mit ihrem Arzt, mit ihren Freunden und Verwandten und auch mit einem anonymen Forumspartner im Internet darüber austauschen, welche Erfahrungen der andere bereits mit dieser Behandlung, mit einem bestimmten Arzt oder einem Krankenhaus gemacht hat. „Viele Kranken- und Seniorenhäuser sind lediglich in ihrem unmittelbaren Umfeld bekannt und in Sachen Image Zufallsprodukte aus persönlichen Erfahrungen, Mundpropaganda und lokaler sowie Branchen-bezogener Berichterstattung der Massenmedien“.

 

Patienten können die Qualität der medizinischen Leistung schwer beurteilen aber leicht bewerten

Logisch ist dabei, dass gerade die anderen Patienten – zumeist medizinische Laien – die Qualität einer medizinischen Leistung, einer Arztpraxis oder eines ganzen Krankenhauses nur begrenzt bewerten können. Dennoch: Beurteilen tun sie diese natürlich trotzdem. Kein Verantwortlicher sollte deshalb den Wert von stellvertretenden Kriterien unterschätzen, anhand derer die Patienten ihr Urteil fällen: Wie viel Zeit hat sich der betreuende Arzt genommen? Wann war ich am OP-Tag an der Reihe? Wie lange habe ich im Wartezimmer gesessen? Wie ernst hat man meine Hinweise auf Schmerzen genommen? Und natürlich: Wie sahen die Räume aus, durfte ich im Krankenhaus mit meinem eigenen Handy telefonieren, wie war das Essen? All dies sind in den Augen der Patienten Image- und Marken-bildende Faktoren eines Krankenhauses, einer Arztpraxis. „Die Zukunft von Krankenhäusern liegt somit keineswegs nur im Zuwachs medizinischen Wissens sondern auch in einer Weiterentwicklung interaktionaler und sozialer Fähigkeiten“, heißt es im „Deutschen Ärzteblatt“ (DÄ, Jg. 104, Heft 30, 2007).

 

Das Altersbeben liefert neue Gründe für den Aufbau einer Klinikmarke

Selbstverständlich geht es hier nicht um die Schwerverletzten und Schwerkranken, deren einziger Wunsch es ist, schnell wieder gesund zu werden. Sondern vielmehr um die Patienten, in deren Macht es noch liegt, sich den Ort für einen operativen Eingriff, eine Diagnose oder sonstige medizinische Behandlung selbst auszusuchen. Aber auch das werden in einer auf Eigenverantwortung bauenden Gesundheitslandschaft immer mehr. Keiner möchte sich heute mehr so alt fühlen, wie er wirklich ist; stattdessen wächst das Bedürfnis fit und jugendlich zu altern. Auch wenn dafür der Aufenthalt in einer Klinik notwendig ist. In diesem Zusammenhang „wandelt sich das Krankenhaus von einer Fürsorgeanstalt zu einem Dienstleistungsunternehmen, das auf Kundenbindung angewiesen ist und seine Wettbewerbsfähigkeit am Markt durch spezifische Alleinstellungmerkmale zu gewinnen sucht“, analysierte man im „Deutschen Ärzteblatt“ bereits im November 2006

 

 

Flächendeckende Versorgung heißt nicht Profillosigkeit des Anbieters

Eine Untersuchung der Fachhochschule Flensburg und der Personalberatung Gemini Executive Search aus dem Jahr 2009 kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass dieses Wissen um die Wahlmöglichkeiten der Patienten bei den Klinikverantwortlichen längst angekommen ist. 98,8 Prozent von ihnen nämlich geben der Studie „Markenbildung in der Gesundheitswirtschaft zu Folge an, dass der Wettbewerb in den letzten fünf Jahren zugenommen hat. 75,3 Prozent meinen zudem, dass ihre Häuser und deren Leistungen durch ein anderes in der Umgebung liegendes Krankenhaus ersetzbar seien. Das mag sein und ist sicher auch für die flächendeckende Versorgung der Patienten wünschenswert – für eine erfolgreich abgeschlossene Markenbildung spricht es eher nicht. Und das, obschon man sich in 70 Prozent der Häuser bereits als Marke begreift.

 

Den Patienten als Patientenkunden wahrzunehmen ist auch ein Zeichen von Menschlichkeit

Doch diese Art der Exklusivität der Behandlungsfähigkeiten ist ja auch nur eine Art einer möglichen Alleinstellung im Sinne des Markierungsprozesses. In der Gesundheitswelt der Zukunft werden wir an einen Punkt kommen müssen, an dem alte Zöpfe endgültig abgeschnitten werden – sofern wir das mit der Markenbildung im Krankenhaus ernst meinen. Weil der Markt das einfordert aber mehr noch, weil der Patient es so wünscht. Zu den Ideen, die in diesem Zusammenhang überprüft werden müssen gehört mit Sicherheit die Vorstellung, dass der Patient nicht als Kunde begriffen werden darf, weil das mit der Ethik des Heilberufs nicht vereinbar sei. Was aber, wenn der Patient sich selber so begreift? Wenn er höflich und freundlich behandelt werden möchte? Wenn er sich, so weit das geht, im Krankenhaus gut fühlen möchte? Wenn er sich über eine funktionierende Klinikorganisation freut; und darüber, bei jedem Kontakt mit dem Haus zu wissen, wofür selbiges steht – sei es im Internet, in der Berichterstattung der klassischen Medien, in Erzählungen unter Bekannten aber auch im Haus selbst?  

 

Die Idee der Vernetzung bietet sich unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und im Hinblick auf die Markenbildung an

Wie sich diese Idee der Kundenbindung auch im Gesundheitswesen umsetzen lässt – und dabei auch noch Geld gespart werden kann – das zeigen eindrucksvoll die Medizinischen Versorgungszentren, die seit der Gesundheitsreform 2004 als neue Leistungserbringer im deutschen Gesundheitswesen zugelassen sind. Die Idee dahinter: Niedergelassene verschiedener Disziplinen und häufig auch noch weitere Gesundheitsdienstleister wie Apotheker, Physiotherapeuten oder Heilpraktiker bieten ihre Dienste unter einem Dach an und profitieren nicht nur von den Synergieeffekten ihrer Heilkünste sondern auch von einer zentralisierten Organisation und einem gemeinsamen Abrechnungsverfahren. Und das scheint sich für alle Beteiligten auszuzahlen, wie eine aktuelle Untersuchung beweist: Die Mediziner profitieren von der fachübergreifenden Zusammenarbeit, von flexibleren Arbeitszeiten und einem gemeinsamen Management. Die Patienten freuen sich über verlängerte Praxis-Öffnungszeiten, eine Medizin aus einer Hand und Sonderkonditionen mit ihren Krankenkassen oder Versicherungen. Denn mit der DKV bietet nun auch die erste private Krankenversicherung einen Netzwerk-Versorgungstarif an, bei dem nicht alle teilnehmenden Ärzte einem MVZ angehören müssen aber zumindest über eine lose Netzwerkstruktur verbunden sind.

 

Wer sich selbst als innovatives Gesundheitszentrum versteht, ist den ersten Schritt schon gegangen

Und nicht zuletzt wird durch diese Vernetzungsidee auch die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern verbessert. Die Medizinischen Versorgungszentren arbeiten zumeist eng mit bestimmten Kliniken zusammen und überweisen ihre Patienten zur stationären Versorgung dorthin. Das trifft natürlich in besonderem Maße auf die MVZ zu, die sich ohnehin schon in der Hand von privaten Klinikträgern befinden. Helios, Rhön-Kliniken usw. kaufen in jüngster Vergangenheit verstärkt Medizinische Versorgungszentren auf, um ihre Position am Markt zu stärken. Sie wandeln diese in neue Gesundheitszentren-Ketten um, deren Mitarbeiter im Zweifelsfall dann wieder genau in ihre Klinikketten einweisen sollen. Auch hierbei sind neue Kooperationen mit Krankenkassen der Garant für eine ökonomische und patientenzentrierte Versorgung zugleich. Doppeluntersuchungen verschiedener Fachärzte lassen sich genauso vermeiden, wie solche im ambulanten und später stationären Bereich. Die Krankengeschichte der einzelnen Patienten wird allen Beteiligten elektronisch zugänglich gemacht. Damit lässt sich nicht nur Geld sparen sondern auch die Behandlung für die Patienten beschleunigen und verbessern.

 

Vom Patienten aus zu denken heißt automatisch zur Marke zu werden

Wer also immer noch glaubt, dass Wertschöpfungaktivitäten im Gesundheitswesen nichts verloren haben, sollte sich eines Besseren belehren lassen. Zwar hat die Kerntätigkeit der Behandlung und Betreuung von Patienten einen handwerklichen, kommunikativen und sozialen Charakter. Sie ist nicht automatisierbar und nur begrenzt rationalisierbar – für die Organisation dieser Tätigkeiten trifft das aber nicht zu. Wissensmanagement, Logistik, Administration und vor allem die Organisation von Behandlung und Heilung der Patienten sind sehr wohl plan- und optimierbar. In Zukunft werden wir erleben, dass nur diejenigen Gesundheitsdienstleister erfolgreich agieren werden, die ihre Prozessabläufe permanent überprüfen und auf positive Synergieeffekte checken. Die Ausbildung einer eigenen Klinikmarke oder eines unverwechselbaren Netzwerk-Images vollzieht sich so quasi automatisch.

 

Die Klinik in der Dienstleistungökonomie der Zukunft – neue Marken für neue Healthstyle-Bedürfnisse

Diese Vernetzung kann dabei innerhalb des eigenen Systems geschehen, effektiver, rentabler und auch befriedigender für Patienten und Personal wird es auf lange Sicht aber sein, sich um Synergieeffekte zwischen gleichberechtigten Partnern jenseits der Grenzen der eigenen Klinik umzuschauen. Den Zentren gehört die Zukunft, egal ob es sich dabei um Kooperationen entlang bestimmter Krankheiten (etwa Herzzentren, Diabetikerzentren), entlang bestimmter Patientengruppen (zum Beispiel in der Kinderheilkunde oder der Gynäkologie) oder um die Bildung von multidisziplinären Teams vor dem Hintergrund einer optimierten Patientenbehandlung handelt. Service- und Dienstleistungsorientierung erhalten so ganz automatisch ihren Platz im medizinischen Angebot – ohne dass die Grundsätze der Heilkunst verraten und verkauft werden müssen.

Corinna Langwieser, Prof. Peter Wippermann