Die Privatisierung der Gesundheit ist nicht mehr aufzuhalten. Und das in einem doppelten Sinne: Immer mehr Menschen investieren aus eigenem Antrieb in eine optimale Gesundheitsvorsorge. Gleichzeitig nimmt die Privatisierung der Anbieter ebenfalls zu. Das Verhältnis von öffentlichen und privaten Trägern wird sich bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu 1991 exakt umgekehrt haben.
Seit einigen Jahren läuft eine Privatisierungswelle durch die deutsche Krankenhauslandschaft. Big Player betreten den Markt und optimieren die Kostenstrukturen der einzelnen Kliniken. Ausländische Unternehmen drängen auf den viel versprechenden deutschen Markt. Die Zahlen des statistischen Bundesamtes und die Prognose der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young belegen, dass wir uns definitiv vom Modell des öffentlichen Kreiskrankenhauses verabschieden. Nur noch 15 Prozent der Krankenhäuser werden dann in öffentlicher Hand liegen, 45 Prozent von privaten Unternehmen geführt. Neben einer Vielzahl von strukturellen Veränderungen wird sich damit auch das Image der Kliniken verändern. Aus austauschbaren Krankenhäusern werden individuell geführte Gesundheitshäuser. Jede Klinik wird zu ihrer eigenen Marke.
Andere Bereiche des Gesundheitssystem waren schon früher von der Notwendigkeit der Markenbildung betroffen
Diese Entwicklung weg vom Einheitsweiß und hin zu einer individuell aufgebauten und geführten Klinikmarke ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Zeigt sie doch, dass der Wettbewerb um die optimale Versorgung, die besten Mitarbeiter und die angenehmste Atmosphäre auch die Krankenhauslandschaft erreicht hat. Eine Entwicklung, die aus dem deutschen Gesundheitssystem längst nicht mehr wegzudiskutieren ist. Niedergelassene sehen sich diesem Wettbewerb ausgesetzt, Pharmafirmen aber auch Apotheken oder medizinische Therapeuten haben in den letzten Jahren erfahren, dass der Patient selbst darüber entscheiden möchte, wo er sich behandeln, wie er in seine Gesundheit investieren möchte. Die nächstgelegene Arztpraxis oder die Apotheke um die Ecke können sich nicht mehr darauf verlassen, automatisch von den Patienten aufgesucht zu werden. Im Gegenteil haben diese begonnen, jede mögliche Entscheidung im Bereich Gesundheitsvorsorge oder Krankheitsbekämpfung zu überprüfen und bewusst zu treffen.
In dem Moment, in dem Gesundheit mehr ist als nicht krank zu sein, müssen sich die Anbieter wandeln
Auch wenn es im stationären Bereich noch die wenigsten Wahlmöglichkeiten für die Patienten gibt – weil es nicht überall ein Krankenhaus gibt, weil die Menschen auf Zentren und Spezialisierungen angewiesen sind oder schlichtweg zu schwach um noch aktiv eine Entscheidung zu fällen – so können sich die Kliniken doch nicht auf dieser Sonderposition ausruhen. Denn es sind die Patienten selbst, die diesen Prozess der Markenbildung im Gesundheitswesen angestoßen haben. Ihre neuen Bedürfnisse in Bezug auf die Optimierung des eigenen Gesundheitszustands sind es, die den Stein ins Rollen gebracht haben. Gesundheit ist von der Abwesenheit von Krankheiten zu einem Synonym für das persönliche Wohlbefinden geworden, und dieser Wertewandel verändert alle Märkte.
Unsere künftige Dienstleistungs-Ökonomie ist auch eine Healthstyle-Ökonomie
Wir leben in der Gesundheitsgesellschaft. Niemals zuvor hat Gesundheit einen so hohen Stellenwert eingenommen wie heute. Der Gesundheitsmarkt ist bereits heute einer der wichtigsten Eckpfeiler der Wirtschaft: In Deutschland umfasst er inzwischen ein Volumen von 263 Milliarden Euro, das sind 10,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bis zum Jahr 2020 wird der Gesundheitsmarkt auf etwa 453 Milliarden Euro anwachsen. Rund um Ernährung, Körper, Sport und Lebensqualität entstehen neue gigantische Nachfragemärkte. Gesundheit ist eine Schlüsselressource in der Gesellschaft von morgen und ein bevorzugtes Konsumgut und Lifestyle-Produkt. In diesem Sinn verwandelt sich der alte Lifestyle in einen neuen Healthstyle.
Die Grundprinzipien von Eigenverantwortung und Self Design treffen das Gesundheitssystem ins Mark
Denn das Bedürfnis der Menschen, durch individuelles Gesundheitsmanagement zufriedener und glücklicher zu leben und ihr eigenes Leben zu optimieren, wird für sie immer wichtiger. Momentan erleben wir den Beginn einer Ära der individuellen Selbstverantwortung in vielen Gesellschaftsbereichen, besonders jedoch auf dem Gebiet der Gesundheit. Symptombekämpfungsmedizin wird von proaktiver Gesundheitsvorsorge und komplementären Behandlungsformen abgelöst. Aus Patienten werden Patientenkunden und gesundheitsbewusste Healthstyle-Konsumenten. Immer mehr Menschen – vor allem in Europa und Nordamerika – legen großen Wert auf Gesundheit sowie körperliches und seelisches Wohlbefinden. Gleichzeitig melden die Gesundheitskassen in den meisten Ländern der Welt Ebbe und Notstand. In Deutschland sind die Gesundheitsausgaben in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen – das betrifft sowohl die laufenden Kosten, die den Löwenanteil ausmachen, als auch die Investitionen.
Strukturwandel trifft Megatrend: Die Folge ist der Wachstumsmarkt Gesundheit
Um im internationalenWettbewerb in Zukunft weiterhin konkurrenzfähig bleiben zu können, sind hierzulande fraglos weitere Investitionen unvermeidlich. Die private Gesundheitsvorsorge wird andererseits das Gesundheitssystem leicht entlasten können. In den nächsten Jahren müssen die Weichen in zwei Richtungen gestellt werden: Entlastung des Gesundheitssystems auf der einen Seite, andererseits gezielte Investitionen in den Gesundheitsmarkt, der einen Aufschwung erleben wird wie kaum ein anderer Markt.
Der Boom der Gesundheit geht vom Zweiten Gesundheitsmarkt aus
Die Unternehmensberatung Roland Berger hat den so genannten Zweiten Gesundheitsmarkt (alle privat finanzierten Gesundheitsdienstleistungen und Produkte) analysiert. Tenor: Der Zweite Gesundheitsmarkt, auf dem Konsumenten proaktiv ihre Gesundheit managen, ist ein Wachstumsmarkt mit einem jährlichen Volumen von aktuell 64 Milliarden Euro. Und er wird in Zukunft noch stärker florieren. Dabei ist der Konsum von Gesundheit inzwischen stark demokratisiert. Die Nachfrage auf dem Zweiten Gesundheitsmarkt wird nicht nur durch Besserverdienende getragen. Auf dem Zweiten Gesundheitsmarkt finden sich Angebote für alle Einkommensklassen – von den Bio-Produkten bei Lebensmittel-Discountern über Discount-Fitness-Studios bis hin zu Gesundheitsreisen, die z.B. von den gesetzlichen Krankenkassen vermittelt und bezuschusst werden. Laut der Studie gibt jeder Erwachsene in Deutschland mittlerweile pro Jahr zusätzlich zur Krankenversicherung 900 Euro für Vorsorgeuntersuchungen, alternative Medizin, Wellness, Sport und gesunde Ernährung aus.
Die deutschen Kliniken genießen einen Vertrauensvorschuss auf Seiten der Patienten – noch
Ein Beispiel aus den USA zeigt, dass dieser zweite Gesundheitsmarkt dort auch schon den Klinikmarkt betrifft. Mit den Retail Health Kliniken nämlich hat sich ein privat finanziertes Krankenhaussystem etabliert, dass zumindest bei leichteren Erkrankungen eine ernstzunehmende Alternative zu den staatlichen Kliniken darstellt – und dabei ganz auf Patientenfreundlichkeit und Service ausgerichtet ist: Rund um die Uhr geöffnet, mit einer überaus freundlichen Krankenschwester am Empfang und einem klar ersichtlichem, kostengünstigen Angebot, das sich auf einer Art Speisekarte wie bei McDonalds über den Köpfen der Patienten abgedruckt findet – liegen diese privaten Notfallambulanzen auch noch ganz in der Nähe der meisten Patienten: in großen Supermärkten, Drogerien oder Warenhäusern. Eine Krankenschwester, seltener ein Arzt kümmern sich hier um die Erstversorgung von kleinen Wunden, um Insektenstiche, sie führen Impfungen durch oder verschreiben Fieberzäpfchen, die gleich in der Apotheke oder am Automaten einen Gang weiter erworben werden können. Wer schon einmal eine halbe Nacht im Notfall-Wartebereich seines örtlichen Krankenhauses verbracht hat, wird dieser Idee Positives abgewinnen können. Und doch bleiben deutsche Patienten skeptisch. Die Ansprüche, die sie an eine Behandlung – ob in der Klinik oder einer Praxis – stellen, sind einfach andere.
Richtig zufrieden sind die Deutschen mit ihren Krankenhäusern trotzdem nicht mehr
Über diese Ansprüche erfährt man Genaueres, wenn man sich anschaut, welche Kritikpunkte die Bundesbürger am derzeitigen Gesundheits-System haben: Die Ärzte haben zu wenig Zeit für den einzelnen Patienten, wird da mokiert, es gibt zu wenig Pflegepersonal, deutsche Krankenhäuser sind zum Massenbetrieb verkommen, und man ist nur eine Nummer – aber auch: Es gibt zu wenig Ärzte bzw. Fachärzte in den Kliniken. Diese Kritikpunkte werden seit vielen Jahren regelmäßig von den Demoskopen von Allensbach abgefragt, die Zustimmung liegt inzwischen bei Werten zwischen 25 und über 50 Prozent (noch in den 90er Jahren lagen sie jeweils um rund 20 Prozentpunkte darunter). Dreht man diesen Ansatz um, so müsste das optimale Krankenhaus, die optimale Praxis nach Meinung der Patienten über sehr viel mehr Personal verfügen, und die gesamte Betreuung müsste individualisierter ablaufen. Dass sich das mit dem Sparzwang, den allen Beteiligten im deutschen Gesundheitswesen unterliegen, nicht vereinen lässt, leuchtet sofort ein. Doch gibt es nicht auch einfachere Wege, wie diese Wünsche umgesetzt werden könnten?
Es gibt zu viele Kliniken in Deutschland – oder zu viele mit dem gleichen Leistungsspektrum?
Die gibt es mit Sicherheit, und sie sind auch bitter nötig. Die Gesundheitsreformen der letzten Jahre haben schließlich dazu geführt, dass Kliniken und – in den Ballungsgebieten auch niedergelassene Ärzte – in eine Konkurrenzsituation untereinander geraten sind. Allein die Zahl der Kliniken ist von 3.500 im Jahr 1970 (nur in West-Deutschland) auf derzeit knapp über 2.000 (in Gesamt-Deutschland) gesunken. Experten gehen davon aus, dass die Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland bis 2020 um weitere 20 Prozent zurückgehen wird. „Das Nachsehen haben dabei vor allem die kleineren Kliniken mit weniger als 300 Betten. Sie werden den Kampf ums Überleben vermutlich nur gewinnen, wenn sie sich extrem spezialisieren oder unter das Dach eines Klinikverbundes schlüpfen“ (Healthcare Marketing 12/09).
Die Sparmaßnahmen zielen auf das betriebswirtschaftliche Ergebnis – dabei hängt genau das auch von menschlichen Faktoren ab
Nach Jahrzehnten des subventionierten Wirtschaftens wurden die Verantwortlichen bereits in den 90er Jahren massiv vor die Entscheidung gestellt, in ihrem Haus künftig Gewinn (oder zumindest weniger Verlust) einzufahren oder mit der möglichen Schließung konfrontiert zu werden. Und auch wenn sich ökonomisches Handeln und die Heilung Schwerkranker auf den ersten Blick kategorisch ausschließen, offenbaren sich auf den zweiten Blick eben doch eine ganze Reihe an Misständen und Fehlorganisationen, deren Behebung nicht nur Geld sparen hilft, sondern als Prozessoptimierung auch dem Wohl von Patient und Personal zu Gute kommt.
Im Bereich der Prozessoptimierung passiert viel – zur Markenbildung aber gehört noch mehr
Dazu zählen logistische Abläufe genauso wie IT-Dienstleistungen, die Rückbesinnung auf die Kernkompetenzen aller Mitarbeiter und selbstverständlich auch der Patientenbetreuung und -kommunikation. Viele Klinikverantwortliche haben diese Notwendigkeiten längst erkannt: Landauf, landab laufen Feldversuche, bei denen zum Beispiel hauswirtschaftliches Personal die Pflegekräfte entlasten, die sich dann wieder auf die direkte Pflege und die Patientenbetreuung konzentrieren können – und so ihrerseits die Ärzte stärker entlasten. Es gibt Initiativen zur Optimierung der Datenaufbereitung bis hin zu On-Bed-Systemen, bei denen die Kranken- und Medikationshistorie eines jeden Patienten auf Knopfdruck abrufbar ist; es gibt Versuche, durch den Aufbau von Netzwerkstrukturen den Einkauf (von Heil- und Hilfsmitteln bis hin zum Catering) zu optimieren; und selbstverständlich verfügt heute so gut wie jede Klinik über eine Website im Internet.
Wer sich mit der Markenbildung seiner Klinik beschäftigt, darf die Niedergelassenenen nicht aus den Augen verlieren
Und das ist auch tatsächlich notwendig: „Die Kunden im Gesundheits- und Pflegemarkt entscheiden immer häufiger selbst darüber, in welche Einrichtung sie gehen. Niedergelassene Ärzte spielen dabei als Meinungsführer eine besondere Rolle und werden schon heute in vielen Fällen systematisch über das Leistungsprofil, die Qualitätsstandards und die Philosophie der Einrichtungen verschiedener Träger informiert. Wer hier nicht mithalten kann, verliert den Wettbewerb um Patienten und ein Image, das auch öffentliche Stellen überzeugt, die häufig über den Fortbestand von Einrichtungen entscheiden. Die Gesamtbedeutung, die diese als Versorger und Arbeitgeber für eine Region haben, spielt eine entscheidende Rolle“, analysiert man in der Zeitschrift „Healthcare Marketing“ (12/09).
Aus dem Zufallsprodukt Klinikmarke muss ein Gesamtkonzept werden
Damit wird auch angedeutet, was künftig nicht mehr tabu sein darf: Der Aufbau einer eigenen Marke, für Arztpraxen oder Apotheken aber genauso auch für Krankenhäuser. Denn gerade in einer alternden Gesellschaft steigt die Zahl der Menschen mit planbaren, standardisierten und einmaligen Eingriffen überproportional. Das bedeutet aber auch: Diese Patienten lassen sich künftig Zeit mit der Entscheidung, in welcher Klinik sie diesen Eingriff oder jene Therapie durchführen lassen. Und sie lassen sich dabei beraten. Passiv durch den Internetauftritt des Krankenhauses, durch Patientenbroschüren oder sogar eine eigene Klinikzeitschrift, wie sie einige große Häuser bereits publizieren. Und aktiv, in dem sie sich mit ihrem Arzt, mit ihren Freunden und Verwandten und auch mit einem anonymen Forumspartner im Internet darüber austauschen, welche Erfahrungen der andere bereits mit dieser Behandlung, mit einem bestimmten Arzt oder einem Krankenhaus gemacht hat. „Viele Kranken- und Seniorenhäuser sind lediglich in ihrem unmittelbaren Umfeld bekannt und in Sachen Image Zufallsprodukte aus persönlichen Erfahrungen, Mundpropaganda und lokaler sowie Branchen-bezogener Berichterstattung der Massenmedien“.
Patienten können die Qualität der medizinischen Leistung schwer beurteilen aber leicht bewerten
Logisch ist dabei, dass gerade die anderen Patienten – zumeist medizinische Laien – die Qualität einer medizinischen Leistung, einer Arztpraxis oder eines ganzen Krankenhauses nur begrenzt bewerten können. Dennoch: Beurteilen tun sie diese natürlich trotzdem. Kein Verantwortlicher sollte deshalb den Wert von stellvertretenden Kriterien unterschätzen, anhand derer die Patienten ihr Urteil fällen: Wie viel Zeit hat sich der betreuende Arzt genommen? Wann war ich am OP-Tag an der Reihe? Wie lange habe ich im Wartezimmer gesessen? Wie ernst hat man meine Hinweise auf Schmerzen genommen? Und natürlich: Wie sahen die Räume aus, durfte ich im Krankenhaus mit meinem eigenen Handy telefonieren, wie war das Essen? All dies sind in den Augen der Patienten Image- und Marken-bildende Faktoren eines Krankenhauses, einer Arztpraxis. „Die Zukunft von Krankenhäusern liegt somit keineswegs nur im Zuwachs medizinischen Wissens sondern auch in einer Weiterentwicklung interaktionaler und sozialer Fähigkeiten“, heißt es im „Deutschen Ärzteblatt“ (DÄ, Jg. 104, Heft 30, 2007).
Das Altersbeben liefert neue Gründe für den Aufbau einer Klinikmarke
Selbstverständlich geht es hier nicht um die Schwerverletzten und Schwerkranken, deren einziger Wunsch es ist, schnell wieder gesund zu werden. Sondern vielmehr um die Patienten, in deren Macht es noch liegt, sich den Ort für einen operativen Eingriff, eine Diagnose oder sonstige medizinische Behandlung selbst auszusuchen. Aber auch das werden in einer auf Eigenverantwortung bauenden Gesundheitslandschaft immer mehr. Keiner möchte sich heute mehr so alt fühlen, wie er wirklich ist; stattdessen wächst das Bedürfnis fit und jugendlich zu altern. Auch wenn dafür der Aufenthalt in einer Klinik notwendig ist. In diesem Zusammenhang „wandelt sich das Krankenhaus von einer Fürsorgeanstalt zu einem Dienstleistungsunternehmen, das auf Kundenbindung angewiesen ist und seine Wettbewerbsfähigkeit am Markt durch spezifische Alleinstellungmerkmale zu gewinnen sucht“, analysierte man im „Deutschen Ärzteblatt“ bereits im November 2006
Flächendeckende Versorgung heißt nicht Profillosigkeit des Anbieters
Eine Untersuchung der Fachhochschule Flensburg und der Personalberatung Gemini Executive Search aus dem Jahr 2009 kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass dieses Wissen um die Wahlmöglichkeiten der Patienten bei den Klinikverantwortlichen längst angekommen ist. 98,8 Prozent von ihnen nämlich geben der Studie „Markenbildung in der Gesundheitswirtschaft zu Folge an, dass der Wettbewerb in den letzten fünf Jahren zugenommen hat. 75,3 Prozent meinen zudem, dass ihre Häuser und deren Leistungen durch ein anderes in der Umgebung liegendes Krankenhaus ersetzbar seien. Das mag sein und ist sicher auch für die flächendeckende Versorgung der Patienten wünschenswert – für eine erfolgreich abgeschlossene Markenbildung spricht es eher nicht. Und das, obschon man sich in 70 Prozent der Häuser bereits als Marke begreift.
Den Patienten als Patientenkunden wahrzunehmen ist auch ein Zeichen von Menschlichkeit
Doch diese Art der Exklusivität der Behandlungsfähigkeiten ist ja auch nur eine Art einer möglichen Alleinstellung im Sinne des Markierungsprozesses. In der Gesundheitswelt der Zukunft werden wir an einen Punkt kommen müssen, an dem alte Zöpfe endgültig abgeschnitten werden – sofern wir das mit der Markenbildung im Krankenhaus ernst meinen. Weil der Markt das einfordert aber mehr noch, weil der Patient es so wünscht. Zu den Ideen, die in diesem Zusammenhang überprüft werden müssen gehört mit Sicherheit die Vorstellung, dass der Patient nicht als Kunde begriffen werden darf, weil das mit der Ethik des Heilberufs nicht vereinbar sei. Was aber, wenn der Patient sich selber so begreift? Wenn er höflich und freundlich behandelt werden möchte? Wenn er sich, so weit das geht, im Krankenhaus gut fühlen möchte? Wenn er sich über eine funktionierende Klinikorganisation freut; und darüber, bei jedem Kontakt mit dem Haus zu wissen, wofür selbiges steht – sei es im Internet, in der Berichterstattung der klassischen Medien, in Erzählungen unter Bekannten aber auch im Haus selbst?
Die Idee der Vernetzung bietet sich unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und im Hinblick auf die Markenbildung an
Wie sich diese Idee der Kundenbindung auch im Gesundheitswesen umsetzen lässt – und dabei auch noch Geld gespart werden kann – das zeigen eindrucksvoll die Medizinischen Versorgungszentren, die seit der Gesundheitsreform 2004 als neue Leistungserbringer im deutschen Gesundheitswesen zugelassen sind. Die Idee dahinter: Niedergelassene verschiedener Disziplinen und häufig auch noch weitere Gesundheitsdienstleister wie Apotheker, Physiotherapeuten oder Heilpraktiker bieten ihre Dienste unter einem Dach an und profitieren nicht nur von den Synergieeffekten ihrer Heilkünste sondern auch von einer zentralisierten Organisation und einem gemeinsamen Abrechnungsverfahren. Und das scheint sich für alle Beteiligten auszuzahlen, wie eine aktuelle Untersuchung beweist: Die Mediziner profitieren von der fachübergreifenden Zusammenarbeit, von flexibleren Arbeitszeiten und einem gemeinsamen Management. Die Patienten freuen sich über verlängerte Praxis-Öffnungszeiten, eine Medizin aus einer Hand und Sonderkonditionen mit ihren Krankenkassen oder Versicherungen. Denn mit der DKV bietet nun auch die erste private Krankenversicherung einen Netzwerk-Versorgungstarif an, bei dem nicht alle teilnehmenden Ärzte einem MVZ angehören müssen aber zumindest über eine lose Netzwerkstruktur verbunden sind.
Wer sich selbst als innovatives Gesundheitszentrum versteht, ist den ersten Schritt schon gegangen
Und nicht zuletzt wird durch diese Vernetzungsidee auch die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern verbessert. Die Medizinischen Versorgungszentren arbeiten zumeist eng mit bestimmten Kliniken zusammen und überweisen ihre Patienten zur stationären Versorgung dorthin. Das trifft natürlich in besonderem Maße auf die MVZ zu, die sich ohnehin schon in der Hand von privaten Klinikträgern befinden. Helios, Rhön-Kliniken usw. kaufen in jüngster Vergangenheit verstärkt Medizinische Versorgungszentren auf, um ihre Position am Markt zu stärken. Sie wandeln diese in neue Gesundheitszentren-Ketten um, deren Mitarbeiter im Zweifelsfall dann wieder genau in ihre Klinikketten einweisen sollen. Auch hierbei sind neue Kooperationen mit Krankenkassen der Garant für eine ökonomische und patientenzentrierte Versorgung zugleich. Doppeluntersuchungen verschiedener Fachärzte lassen sich genauso vermeiden, wie solche im ambulanten und später stationären Bereich. Die Krankengeschichte der einzelnen Patienten wird allen Beteiligten elektronisch zugänglich gemacht. Damit lässt sich nicht nur Geld sparen sondern auch die Behandlung für die Patienten beschleunigen und verbessern.
Vom Patienten aus zu denken heißt automatisch zur Marke zu werden
Wer also immer noch glaubt, dass Wertschöpfungaktivitäten im Gesundheitswesen nichts verloren haben, sollte sich eines Besseren belehren lassen. Zwar hat die Kerntätigkeit der Behandlung und Betreuung von Patienten einen handwerklichen, kommunikativen und sozialen Charakter. Sie ist nicht automatisierbar und nur begrenzt rationalisierbar – für die Organisation dieser Tätigkeiten trifft das aber nicht zu. Wissensmanagement, Logistik, Administration und vor allem die Organisation von Behandlung und Heilung der Patienten sind sehr wohl plan- und optimierbar. In Zukunft werden wir erleben, dass nur diejenigen Gesundheitsdienstleister erfolgreich agieren werden, die ihre Prozessabläufe permanent überprüfen und auf positive Synergieeffekte checken. Die Ausbildung einer eigenen Klinikmarke oder eines unverwechselbaren Netzwerk-Images vollzieht sich so quasi automatisch.
Die Klinik in der Dienstleistungökonomie der Zukunft – neue Marken für neue Healthstyle-Bedürfnisse
Diese Vernetzung kann dabei innerhalb des eigenen Systems geschehen, effektiver, rentabler und auch befriedigender für Patienten und Personal wird es auf lange Sicht aber sein, sich um Synergieeffekte zwischen gleichberechtigten Partnern jenseits der Grenzen der eigenen Klinik umzuschauen. Den Zentren gehört die Zukunft, egal ob es sich dabei um Kooperationen entlang bestimmter Krankheiten (etwa Herzzentren, Diabetikerzentren), entlang bestimmter Patientengruppen (zum Beispiel in der Kinderheilkunde oder der Gynäkologie) oder um die Bildung von multidisziplinären Teams vor dem Hintergrund einer optimierten Patientenbehandlung handelt. Service- und Dienstleistungsorientierung erhalten so ganz automatisch ihren Platz im medizinischen Angebot – ohne dass die Grundsätze der Heilkunst verraten und verkauft werden müssen.
Corinna Langwieser, Prof. Peter Wippermann