"Das Internet ist kein technisches Netz, sondern ein soziales."

Prof. Peter Wippermann am 02.09.10 beim media coffee der dpa-Tochter news aktuell in Köln: Kommunikation 2020 - Aufbruch in ein neues Informationszeitalter? Pressemitteilung und Bilder:
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„Freizeit, Arbeit, Unternehmen – Unternehmen müssen sich entscheiden, wie sie auf die wachsende mediale Macht von Kunden reagieren“

Eigentlich ist alles ganz einfach. Wir entscheiden über Medien, diese bestimmen unseren Alltag. Wer ein iPhone nutzt, hat die meisten Sexpartner. So einfach kann das Leben sein. Mit 12 Paarungen liegen die Liebenden mit einem Apple iPhone statistisch gesehen vor Blackberry (8) und Android (6), das belegt eine aktuelle Studie der amerikanischen Partnervermittlung OKCupid. Fast unbemerkt hat sich unser Leben durch die Präsenz von Personal Media, das mobile Internet, verändert. Nicht nur in den USA. Nicht nur im Privaten.

Heute hat jedes fünfte Kind in Deutschland zwischen fünf und neun Jahren ein eigenes Handy, 2005 hatte nur jedes 16. Kind ein Mobiltelefon. Auf 82 Millionen Einwohner kommen 100 Millionen aktive Handys. Das mobile Internet wird schon in gut einem Jahr von zehn Prozent der Bundesbürger genutzt werden, so die Otto Group Studie von Google, TNS und Trendbüro. Wir leben bereits in zwei Wirklichkeiten. Fernanwesenheit ist uns längst vertraut. Aktuell aber findet ein Wertewandel statt. Menschen, Unternehmen und die Gesellschaft sollten sich Gedanken machen, wie sie in der medialen Netzwerkgesellschaft zukünftig leben und arbeiten wollen. Die Hauptaufgabe wird es sein, die eigene Zeit lustvoll und zugleich ökonomisch erfolgreich zu nutzen.

Unternehmen im Aufwachraum: ratlos

Neue Technologien und Social Media haben es möglich gemacht, dass einzelne unzufriedene Kunden einen globalen Medienfeldzug gegen ein Unternehmen führen können. Unternehmen und ihre Marken erleiden einen nachhaltigen Schaden, wenn sie nicht in Echtzeit reagieren können.

Die Greenpeace-Kitkat-Kampagne gegen Nestlé ist noch gut in Erinnerung. Für das Unternehmen war die interne Kontrolle über abgestimmte Verlautbarungen wichtiger als eine schnelle Gesprächsbereitschaft. Dadurch gewann die Greenpeace-Kampagne viel Zeit. Ihre Meinungsmacht über Twitter, Facebook und YouTube vervielfältigte sich mit jeder Sekunde, und das global. Spät hat Nestlé reagiert. Die Zeit, die zur internen Meinungsbildung benötigt wurde, entsprach nicht mehr der Aufmerksamkeitsökonomie der Netzwerkgesellschaft. Zu spät war das Unternehmen bereit, zu versprechen, den Regenwald zu schützen.

In den meisten Firmen gibt es noch kulturelle Widerstände, die eigenen Mitarbeiter technologisch so auszurüsten, dass sie unter den neuen Medienbedingungen effizient arbeiten können. Persönliche Soft- und Hardware für digitale Netzwerkmedien sind häufig nur dem Management zugänglich. Im Zweifelsfall sitzen die Bremser für die Integration von Personal Media in den IT-Abteilungen und setzen auf Sicherheit statt auf Vertrauen. Es gilt aber, Abschied zu nehmen von alten Vorschriften und Verboten.

Das Abliefern von privaten Smartphones beim Betreten des Unternehmens ist Ausdruck des Misstrauens gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Das Verbot, Social Media während der Arbeitszeit zu nutzen, verkennt die Integration von Arbeits- und Freizeit. Märkte sind Gespräche, und diese finden heute vor allem in den Dialogen von Social-Media-Angeboten statt. Ihr Einfluss wächst täglich. Allein Facebook hatte im Juli des Jahres 500 Millionen aktive Nutzer. Zum Jahreswechsel 2010/11 werden nach einer Prognose des Unternehmens mehr als eine Milliarde User auf Facebook sich selbst vermarkten, Kontakte knüpfen und Meinungen bilden. Bereits jetzt ignorieren 66 Prozent der unter 30-jährigen Mitarbeiter in Deutschland die firmeninterne Datensicherheit, um auf Facebook & Co während der Arbeitszeit kommunikationsfähig zu bleiben.

Jeder im Management weiß, dass die Zeit und nicht der Ort in einer globalen Wirtschaft zum wirklichen Wettbewerbsfaktor geworden ist. Erreichbarkeit und nicht Anwesenheit zählt. Schnelligkeit und nicht mehr die Nähe entscheidet zunehmend über den Erfolg. In den Führungsetagen der Unternehmen ist das Modell der Arbeitskultur von morgen heute schon selbstverständlich: in Hierarchien leben, vernetzt denken und im Rahmen der vereinbarten Unternehmensziele eigenverantwortlich schnell handeln.

Informationsgier kontra Zeit: Flow.Control.

Wenn 48 Prozent der Amerikaner nachts ihren Facebook- oder Twitter-Account kontrollieren, wird klar, wie wichtig das Zusammenspiel von Information und Zeit geworden ist. Die Lust, angeschlossen zu bleiben, verbündet sich mit der Angst, ausgeschlossen zu werden. Es entsteht eine Gier nach Informationen, und diese erzeugt Stress. Nicht umsonst hat der Blackberry den Spitznamen „Crackberry“ bekommen. Permanente Kommunikation macht süchtig. In Deutschland schlagen die Krankenkassen schon Alarm. Die psychischen Krankheiten nehmen überproportional zu. Als einer der Auslöser wird der multimediale Stress am Arbeitsplatz und das Stand-by-Leben angesehen.

Die romantische deutsche Antwort auf das Thema „Information-Overload“ heißt Verzicht. Vogel Strauß hätte keine bessere Lösung des Problems anbieten können. Die Bestseller „Brief an mein Leben“ von Miriam Meckel zum Thema Burn-out, „Ich bin dann mal offline“ von Christoph Koch oder gleich „Mein halbes Jahr offline“ von Alex Rühle sind nicht zufällig so erfolgreich geworden. Sie sind Zeichen für eine gewaltige tektonische Verschiebung, die gerade unter unseren Füßen stattfindet. Die meisten aber spüren sie nicht einmal, noch nicht.

Aktive plus passive Medien: Informationslogistik

Die Revolutionen unseres Alltags kommen nicht mehr wie noch bis in das 20. Jahrhundert als angsteinflößende Ungeheuer daher wie Bahn, Auto und Flugzeug. Stattdessen erscheinen sie als freundliche Helfer und modische Trends, so der Philosoph Burkhard Spinnen. Trotzdem geht es bei diesem Strukturwandel um Macht. Nach der Eroberung von Land, See, Luft und Weltraum entscheidet zukünftig die Herrschaft über die Zeit. Die digitalen Netzwerkmedien und die sich daraus entwickelnde globale Informationsflut bewertet den Faktor Zeit neu. Das Informationsvolumen explodiert mit der Logik der Internetzeit. Ein Menschentag aber hat immer noch 24 Stunden. Aus „just in time“, der analogen Industriekultur, wird die „real time“ der digitalen Netzwerkökonomie. Der Augenblick zählt.

Die Zukunft liegt nicht in der Rückkehr zu den Lösungen der Vergangenheit. Eine ausgewogene Work-Life-Balance war schon immer ein unrealistisches Ziel. Die Sehnsucht, weniger zu arbeiten, hat sich nie erfüllt. Die Integration von Arbeit in das eigene Leben verspricht weniger Stress und steigert die Produktivität. Es ist sinnvoller, den Tag um die aktuelle Arbeit herum zu organisieren, als zu versuchen, die ideale Vorstellung des eigenen Tagesablaufs zu realisieren. Entschleunigung bringt nicht die erhoffte Lösung. Wir werden nicht darum herumkommen, unsere eigene Informationslogistik zu organisieren. Passive Medien wie E-Mail gilt es mit der aktiven Kommunikation von Telefongesprächen und Meetings intelligent zu vernetzen, Wartezeiten zu nutzen und soziale Momente zu schützen. Selbstbestimmung in der Netzwerkgesellschaft heißt: Ziele setzen, Filter finden, Zeit definieren.

Ressource der Zukunft: Echtzeit

Unternehmen konnten bisher nicht in Echtzeit kommunizieren. Es war bislang weder technologisch noch ökonomisch möglich, spontan mit Kunden zu kommunizieren. Social Media haben beide Mauern gesprengt. So organisiert der Microblogging-Dienstleister Twitter eine spontane Medienöffentlichkeit zu Nullkosten. Das US-Handelshaus für Unterhaltungselektronik, Best Buy, hat die Chancen der Zeit erkannt.

Um auf das permanente Gezwitscher der Kunden bei Twitter reagieren zu können, hat Best Buy ein firmeneigenes Microblogging-System entwickelt: Twelpforce (Tw-itter-H-elpforce). Seit dem Sommer 2009 können 2.500 Mitarbeiter direkt auf Kundenwünsche und Beschwerden antworten. Der IT-Abteilung ist es gelungen, die geschlossene hausinterne Dateninfrastruktur sinnvoll mit dem öffentlichen Twitter-Netzwerk zu verbinden, ohne die Sicherheit der eigenen Server zu gefährden. Mitarbeiter aus den Abteilungen Verkauf, Service und Marketing kombinieren seit dem Sommer letzten Jahres ihr Wissen auf Twelpforce. Jeder von ihnen kann persönlich und ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten oder der Pressestelle direkt mit den Kunden kommunizieren und ihnen Hilfe anbieten. Das Unternehmen verlagert seine Kundenkommunikation in die Freizeit seiner Mitarbeiter. Durch die große Zahl der teilnehmenden Mitarbeiter entsteht eine permanente Kommunikationsbereitschaft von Best Buy, ohne dass der Einzelne übermäßig in seiner persönlichen Freizeit belastet wird. Der Erfolg dieser Echtzeitkommunikation ist überwältigend: zufriedene Kunden und steigende Umsätze bei Best Buy.

Quelle: Twelpforce Best Buy (twitter)

Allein schießt man Tore, gemeinsam erzielt man Siege

Noch spielen defensive Unternehmen gegen offensive Kunden. Die Mannschaft der Kunden hat aber eine neue Spieltaktik gelernt. Sie hat sich selbst trainiert. Sie beherrscht bereits das Zusammenspiel im Web 2.0. Individuelle Spielfreude, Schnelligkeit im Networking und eine klare Zielorientierung definieren ihre neue Spieltechnik. Unternehmen können von ihren Kunden und Mitarbeitern lernen. Das strategische Passspiel wird wichtiger als das selbstverliebte Dribbling.

Manager sollten wie Fußballtrainer sein. Sie trainieren ihre Mitarbeiter wie Spieler und motivieren ihre Mannschaft. Jeder Spieler hat seine besondere Fähigkeit und Aufgabe, aber entscheidet auf dem Spielfeld über seinen Einsatz autonom. Einfache Regeln, klare Sanktionen, individuelle Leistungen und kollektives Mannschaftsspiel entscheiden über Sieg oder Niederlage. Das Geheimnis der Erfolgreichen heißt Flow.Control.

Peter Wippermann
Gründer Trendbüro
Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität, Essen

„Reden bringt Gold, Schweigen wird bestraft – Kommunikationsstrategien in der Netzwerkökonomie“

Stellen Sie sich vor, Sie veranstalten einen Workshop für die Leitungselite Ihres Unternehmens. Die Rolle des Internets soll analysiert und die zukünftige Kommunikationsstrategie entwickelt werden. Sie machen zu Beginn eine TED-Umfrage. Das Ergebnis ist überraschend. Fast alle sind sich einig: Das Internet ist die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts.

Sie kommen gemeinsam auf viele neue Ideen. Mit Ihren Mitarbeitern und Kunden wollen Sie im permanenten Gespräch bleiben. Sie sprechen über das mobile Internet, über Blogging und Twitter. Begeistern sich für den Einsatz von rechtssicheren De-Mail-Dokumenten. Sie stellen fest, dass die Entwicklungszeiten und die Entwicklungskosten permanent steigen, die Vermarktungszeiten aber immer kürzer werden. Abhilfe versprechen Sie sich von den Innovationsbörsen, wie sie Procter & Gamble beispielhaft mit „connect + develop“ eingeführt hat. Das Problemlösungsangebot „Innocentive“ ist Anregung für alle Problemsucher, die eine offene Plattform bevorzugen. Für die hausinterne Nutzung halten viele die Projektentwicklungsplattform „amazee“ für ideal. Die Kommunikationsstrategie Ihres Unternehmens wird diskutiert, als könnte man sie neu erfinden.

Einige Vorschläge kreisen um Location-Based Services, die Ihre Dienstleistungen vor Ort kundengerecht revolutionieren könnten. Andere beschäftigen sich mit dem Web 2.0 und seinen Social-Media-Angeboten. Die kommerzielle Nutzung von Facebook, mit seinen 500 Millionen privaten Nutzern, fasziniert Sie. Die sozialen Netzwerke zur Pflege von Businesskontakten, wie LinkedIn oder Xing, werden nicht nur für das Employer-Branding vorgeschlagen, sondern als Vertriebskanal unter Entscheidern. Ihr Ziel ist die projektmäßige Zusammenarbeit von Mitarbeitern und Kunden in Echtzeit. Das macht für Sie die Wertsteigerung der Kommunikation von morgen aus.

Ja, Sie überlegen sogar, wie Sie die modulare Produktion einer massenhaften Maßanfertigung in einer neuen digitalen Fabrik realisieren können. Das Herauslösen von Gliedern der Wertschöpfungskette würde die Gewinne Ihres Unternehmens drastisch erhöhen. Eine Vorfinanzierung der Produktion durch die Kunden könnte Sie unabhängiger von den Finanzmärkten machen. Unternehmen wie Nike sind über die Homepage NIKEiD seit Jahren in der kundenindividuellen Massenproduktion erfolgreich. Das spornt Sie an.

Sie beschränken sich nicht auf das Senken von Kosten, sondern wollen diese ganz vermeiden. Prozesse und Produkte sollen aus der Sicht des Kunden neu gestaltet werden. Sie haben viele interessante Vorschläge für Projekte. Sie stimmen noch über die Bedeutung der einzelnen Vorschläge ab, dann sind Sie hochzufrieden mit sich und dem kollegialen Brainstorming.

Wir wollen Dinge nicht erkennen,
wenn wir sie emotional nicht wahrhaben wollen.

Jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit. Die entscheidende Frage wird gestellt: „Wer realisiert diese Ideen? Welche Abteilung übernimmt die Projektentwicklung? Wer organisiert das Change-Management-Projekt Web 2.0?“ Schweigen. Keiner meldet sich freiwillig. Es fehlt einfach die Zeit. Alle sind voll ausgelastet. Mehr geht nicht. Die emotionale Priorität hat die Tagesarbeit. Das Heute bleibt wichtiger als das Morgen.
Dann kommt die Erlösung von oben. Die Autorität stellt fest, dass das Internet doch auch nur ein Medium ist. Medienarbeit aber sei doch schließlich Sache der Bereiche Kommunikation und Marketing. Man spürt die kollektive Erleichterung im Raum. Es gibt sie noch, die gute alte Arbeitsteilung. Es gibt auch in Ihrem Unternehmen Spezialisten und klare Verantwortlichkeiten. Es gibt Sie.

Wir können Dinge nur erkennen,
die eine Sprache sprechen, die wir verstehen.

Sie sind Held der Kommunikation. Sie haben das Zeug zum Trainer und Sparringspartner. Sie wissen, dass es nicht mehr reicht, Informationen zu sammeln und zu verbreiten. Sie haben gelernt zu kommunizieren. Sie sind der Dolmetscher zwischen dem Monolog der Arbeitsteilung und dem Dialog der Zusammenarbeit. Sie sind der Change-Manager, der die Möglichkeiten von Web 2.0 kennt und im Unternehmen systemisch bekannt machen wird.

Sie sprechen die vielen Sprachen der Fachabteilungen und kennen die Zugangscodes zu den Spezialisten. Über Fakten, Zahlen und Statistiken informieren Sie das Management und die Finanzwelt. Storys und Mythen prägen Ihren Gedankenaustausch mit den Mitarbeitern und Gewerkschaften. Durch starke Bilder erzeugen Sie große Gefühle bei Kunden und Politikern. Sie wissen am besten um die Bedeutung von offenem Gedankenaustausch, von Kooperation und Innovationen. Das macht Sie zum Kommunikations-Coach.

Ihre Kernkompetenz heißt: vorschlagen, zuhören und antworten. Sie wissen aber auch um die Macht der Software und können sie sinnvoll einsetzen. Ihr Erfolg wird zum Synergiespiel von Kultur und Technologie. Die permanente Kombination unterschiedlichster Fähigkeiten, Tätigkeiten und Erfahrungen ist Ihr Metier. Sie steigern die Kommunikationsbereitschaft, erhöhen die Flexibilität und beschleunigen die mediale Dynamik des Unternehmens.

Wir können nur etwas erkennen,
wenn es für unser persönliches Zukunftsbild interessant ist.

Entlernen wird zur wichtigen Tugend. Der Blick in den Rückspiegel der eigenen Erfolge wird für Mitarbeiter und Unternehmen zunehmend kontraproduktiv. Die Verfallszeiten von Fachwissen werden immer kürzer, deshalb müssen Sie in der Lage sein, das Wissen, das Ihnen gerade noch nützlich erschien, aufzugeben. Nur wer den persönlichen Realitätstunnel verlassen kann, ist bereit für neue Horizonte.

Die Arbeitswelt wird nicht nur täglich komplexer, die rasend schnelle technische Evolution lässt erlernte Fähigkeiten auch immer schneller veralten. War das Silodenken in der Industriekultur der Schlüssel zum ökonomischen Erfolg, passt er für den Zugang zur Netzwerkökonomie nicht mehr. Die Gatekeeper der alten Matrix verlieren ihre Macht, wenn aus der Hierachie ein Netzwerk wird. Dialoge auf Augenhöhe erfordern Vertrauen, Transparenz und vor allem gemeinsame Ziele.

Das Internet ist kein zusätzlicher Medienkanal. Kommunikationsstrategen müssen entlernen lernen. Sie müssen erkennen, dass es nicht nur um interne und externe Öffentlichkeitsarbeit geht. Interaktive Netzwerkmedien sind zur zweiten Realität geworden. Sie berichten nicht mehr über die Welt, sondern bilden ein virtuelles Paralleluniversum. Unter Internetbedingungen wird das Privatleben zum Softwareprogramm. Vernetzte Datenbanken sind die Fabriken der virtuellen Wirtschaft.

Das Internet wird das Organisationsmodell der traditionellen Unternehmen infrage stellen oder sogar zerstören.

Die Säulen in der Hierarchie der Matrixorganisationen sind immer noch stabil. Mentale Oberbefehlshaber stellen nach wie vor Regelwerke auf. Das Controlling überprüft noch immer erfolgreich Soll-Ist-Abweichungen und steigert die Effizienz wiederholbarer Abläufe. Für eine vernetzte, dynamische und globale Wirtschaft geht es aber künftig um Flexibilität. Aktions-struktur und Prozessflexibilität werden zum Wettbewerbsfaktor. Innovationen in der technologischen Struktur des Internets, wie Cloud-Computing, verändern seine ökonomische Nutzung. Die Trennung von lokaler und netzbasierter Datenhaltung ist verschwunden. Die Qualität von Prozessgemeinschaften löst die klassische Produktionsgemeinschaft ab. Marketing und Verkaufen verbinden sich. Kunden werden zu Mitarbeitern auf Zeit.

Das Thema Transparenz und Vertrauen unter Bedingungen von Social Media stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen. Don Tapscott, Management-Professor an der Universität Toronto, kommentierte treffend die Situation: „Das Unternehmen ist nackt. Und wer keine Kleider trägt, sollte wenigstens eine gute Figur machen.“

Jeder, ob Mitarbeiter oder Kunde, kann jetzt auch ohne Programmierkenntnisse seine Informationen, Meinungen, Bilder und Dokumente global verbreiten. Das Vorsprungswissen der Kommunikationsspezialisten sieht sich plötzlich herausgefordert von der Schwarmintelligenz der breiten Massen. Nutzer und Experten reden jetzt auf Augenhöhe miteinander. Aber am liebsten plaudern Nutzer untereinander. Sie reden über Marken, Produkte und Services, aber nicht mit den Produzenten und Dienstleistern, sondern über sie. Unternehmen müssen zuhören lernen. Die neuen Social-Media-Analysen geben hier erste Hilfestellung. Erst wer weiß, worüber gesprochen wird, kann mitreden. Wer nicht antwortet, fliegt raus.

Persönlich sind wir schnell bereit, uns den neuen Gegebenheiten anzupassen.
Aber als Unternehmen?

Wir haben uns privat daran gewöhnt, jederzeit erreichbar zu sein. 110 Millionen Mobilfunkverträge bei 82 Millionen Deutschen machen den Trend zum Zweithandy deutlich. Die Summe aller Handy-Gesprächsminuten im Jahr ist auf 169 Milliarden Minuten gestiegen und hat sich seit 2005 mehr als verdoppelt. Die permanente Fernanwesenheit ist zum Lifestyle geworden. Das persönliche Zukunftsbild verbindet Individualität mit Zugehörigkeit und mediale Nähe mit Freiheit.

Jederzeit individuelle, ortsbezogene Daten in Echtzeit nutzen zu können ist für die Business-Elite heute schon selbstverständlich geworden. Die Vernetzung von Arbeit und Freizeit ist für viele angestrebte Realität. Die alte Idee des Homeworking feiert als Mobile Working eine Wiedergeburt. Das mobile Internet ist der Arbeitsplatz in der Hosen- oder Handtasche. In zehn Jahren wird die Hälfte des gesamten Datenverkehrs im mobilen Internet erwartet. Ein Doppelleben in der ersten und zweiten Wirklichkeit wird die Kommunikationsrealität von übermorgen sein.

Peter Wippermann
Gründer Trendbüro
Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität, Essen

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Innovationen in der Netzwerkökonomie
Warum Masse an Masse verliert und Beziehungen wichtiger als Produkte werden

 „Du sagst mir was Du suchst, und ich sage Dir wo Du es finden kannst. Als Gegenleistung darf ich Deine Frage dokumentieren und mit Deinen Informationen arbeiten.“
Stellen Sie sich vor, Sie hätten vor elf Jahren die Geschäftsidee gehabt Kundenwünsche kostenlos zu erfüllen, um Geld zu verdienen - Sie hätten Google erfunden.

In der sich allmählich erfolgreich etablierenden Netzwerkökonomie wird die Wertschöpfungskette radikal geändert. Wer erfolgreich Neues anbieten will, muss sich auf individuelle Angebote durch Vernetzungen konzentrieren. Statt Produkte auf Vorrat herzustellen, werden zukünftig Angebote auf Nachfrage profitabel vermarktet. Kunden werden keine Waren mehr umtauschen wollen, denn sie haben sie ja selbst in Auftrag gegeben. Das Beste daran wird sein, dass die Konsumenten die Vorfinanzierung der Herstellung übernehmen. Ein Paradigmenwechsel kann kaum größer sein.

Innovative Wertschöpfung

Der Kerngedanke der Industriekultur war die effiziente Produktion von Massengütern. Mehr vom Gleichen in kürzerer Zeit bestimmte die Effizienz eines Unternehmens. Arbeitsteilung und Spezialisierung wurde zur Voraussetzung für die Steigerungslogik des ökonomischen Erfolges. Innovationspotentiale der Industriekreativität verlieren ihre Kraft.

Wer heute über Innovationen nachdenkt, der kann den Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Netzwerkökonomie zur Ideenfindung nutzen.

  • Netzwerkmedien werden zur Infrastruktur-Datenbanken werden zu Fabriken des 21. Jahrhunderts
  • Beziehungen statt Produkte bestimmen die Ökonomie-aus Just-in-Time wird Real-Time
  • Neue Organisationsprozesse ermöglichen smarte Massenmärkte durch Schwarmintelligenz und persönliche Produkte durch Hypertargeting

 

Der Quellcode der Netzwerkökonomie ist C x 4
 1. Connectivity

Die ungehobenen Ressourcen sind nicht Rohstoffe sondern Menschen. Nicht Bohrtürme und Schaufellader, sondern Kultur und digitale Netzwerke werden die Voraussetzung zu neuem Reichtum sein. Das Internet verliert den Charakter einer neuen Technologie und wird zur sozialen Bewegung.

Die Begeisterung für die Communities im Web sind erste Vorzeichen des Wertewandels. Freiheit wird heute über den Zugang zu Netzwerken definiert.

Social-Media-Angebote kennzeichnen den Erfolg von Web 2.0. So organisieren heute 260 Millionen Menschen ihre sozialen Beziehungen auf „facebook“. Waren es in der Startphase vor sechs Jahren noch die 20-Jährigen Studierenden an den amerikanischen Universitäten, die hier ihren Alltag planten, stellen heute die 35-Jährigen die am schnellsten wachsende Gruppe dar.

Soziale Kontakte waren schon immer die Voraussetzung für die Schaffung von neuen Märkten. Auf „facebook“ kann man inzwischen kostenlos telefonieren und Handeltreiben.

Connectivity ist die Eingangsvoraussetzung für die Wirtschaft von morgen. Wer nicht angeschlossen ist, wird ausgeschlossen.

Die Formel ist radikal einfach: die kleinste Einheit wird mit der Gesamtheit vernetzt. Individualisierung und Globalisierung verknüpfen sich unter Netzwerkbedingungen. Der einzelne Kunde zählt und das weltweit.

2. Collaboration

„We’re not in the business of keeping the media companies alive. We’re in the business of connecting with consumers“, stellte Trevor Edwards NIKE Vice President, Global Brand & Category Management, nüchtern fest.

NIKE gibt ein gutes Beispiel über den aktuellen Strukturwandel. Die Geschäftsidee des Sportunternehmens war, Design und Marketing in den Mittelpunkt aller Aktivitäten zu stellen, die Produktion aber konsequent auszulagern. Später suchte man die Nähe zum Kunden und eröffnete Flagship- und Monomarkenstores. Die Innovation bestand aus der Vertikalisierung der Wertschöpfung, von der Kreation bis zum Handel alles selbst zu organisieren.

Der Wunsch direkte Kundenbeziehungen aufzubauen, führte zur Eröffnung eines eigenen Onlineshops. Vorläufiger Höhepunkt war das Angebot an die Fans, dass sie ihre NIKE-Sneaker nach einem modularen Angebot selbst gestalten und individuell in Auftrag geben konnten. Die Produktion wurde nach Vorkasse ausgeführt und die Schuhe zu Hause zugestellt. Die Innovation bestand aus der Verknüpfung von Kommunikation, Transaktion und Produktion. Die Kalkulation von Absatzmengen und der gesamte Zwischenhandel wurden wegrationalisiert. Die Kunden übernahmen das Risiko des Designs und verzichteten auf Reklamationen bei Nichtgefallen des Sneakers.

Heute kann man per Handy ein Foto machen und dieses an die Datenbank von NIKE senden. Als Antwort bekommt man das Modell eines virtuellen Schuhs gesandt, der den Bildwerten des gemailten Bildes entspricht. Die individuelle Produktion und der persönliche Versand sind inzwischen Routine geworden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Kunde die Herstellungs- und Vertriebskosten, wie zukünftig üblich, im Voraus bezahlt.

Bei den Innovationen, nach den Spielregeln der Netzwerkökonomie, geht es um die konsequente Neuorganisation der Wertschöpfung. Die Konsumenten werden zu spontanen Mitarbeitern der Unternehmen. Sie werden zu situativen Auftraggebern der Produktion. Die Wertschöpfung wird ein Nebenprodukt bei der Erfüllung der Kundenwünsche. Das gilt für alle Branchen: für personalisierte Schuhe, individuelles Müsli wie für Medikamente nach eigenen Genprofilen.


3. Coopetion

In Netzwerken verliert die Kontrolle ihre Macht. Die wachsende Komplexität der massenhaften individuellen Produktion kann ein Unternehmen nicht mehr allein im globalen Maßstab bewältigen. Deshalb verbinden sich die polarisierenden Prinzipien des Marktes, Kooperation und Konkurrenz. Zusammenarbeit trotz gleichzeitiger Konkurrenz, steigert die Wertschöpfung für alle Beteiligten.

Die Vertikalisierung hat die Produktion mit dem Handel verbunden. Jetzt wird eine horizontale Vernetzung im Business-to-Business- Bereich Synergien schaffen und Kosten senken. Als wünschenswerter Nebeneffekt werden die CO2-Belastungen durch effektivere Auslastung bei Produktion und Logistik reduziert.

Ein  Beispiel hierfür sind BMW und Daimler, die in der Produktion und im Einkauf zusammenarbeiten, aber im Endkundengeschäft getrennte Ziele verfolgen. Sogar Pepsi und Coca-Cola haben sich darauf geeinigt, die Logistik gemeinsam zu koordinieren, ohne auf den für beide Seiten attraktiven „Werbekrieg“ zu verzichten.

Informations- und Kommunikationstechnologien, wie RFID und der Electronic Product Code, ermöglichen es, global Prozesse in Echtzeit transparent zu machen. Mit Netzwerktechnologien können heute schon Rationalisierungspotentiale realisiert und Synergieeffekte kontrolliert werden. Aus Just-in-Time wird unter Netzwerkbedingungen Realtime.

4. Co-Creation

Die globale Vernetzung von Unternehmen und die Digitalisierung der Produktion wird die Wertschöpfungskette um die aktiven Konsumenten erweitern. Die Prognose von Alvin Toffler aus dem Jahr 1980 war, dass in Zukunft der Gegensatz von Produzent und Konsument überwunden wird. Er nannte diesen neuen Typus Prosument. Durch das Internet und die digitalen Fabriken gewinnt diese Prognose an Realität. Natürlich wird unterschiedliches Kundenverhalten die Märkte prägen. Im Web 2.0 kann man schon heute Erfahrungen sammeln, wie aktiv die Teilnehmer sind. Die Faustformel lautet 90-9-1, 90 Prozent sind passiv, 9 Prozent aktiv und nur 1 Prozent ist hyperaktiv.

Schwarmintelligenz, die in digitalen Netzen automatisch anfallenden Datenmengen, ermöglicht schon heute smarte Massenmärkte der 90 Prozent der Konsumenten zu optimieren. Prognosesoftware und Rankings in Real-Time machen flexible Märkte kalkulierbarer.

Im Gegensatz dazu nutzt man beim Hypertargeting die Informationen des einzelnen Konsumenten. Hier geht es um persönliche Empfehlungen und individuelle Angebote für 10 Prozent der Kunden.

Die Öffnung der Unternehmen für Wettbewerber und Konsumenten wird allerdings die größte Herausforderung für Netzwerkinnovationen sein. Denn wir sind technologisch und ökonomisch Radikale, aber kulturell und sozial Konservative. Aus diesem Spannungsfeld entstehen die Innovationen für morgen.

Peter Wippermann