Wenn Sie ein Corporate Publisher sind, beantworten Sie sich mal ehrlich drei Fragen.
Vergessen Sie dabei bitte nicht, dass die Kosten für Produktion, Verbreitung, Lagerung und Kontrolle von Information unter Internetbedingungen dramatisch gefallen sind.
1. Was bringt Ihr Corporate-Publishing-Angebot Ihrem Kunden?
2. Wie wollen Sie die Effizienz Ihrer Medienarbeit steigern?
3. Wer wird in Zukunft Ihr Publishing-Partner auf der Kundenseite sein?
Zugegeben, Antworten auf diese Fragen sind nicht ganz einfach. Deshalb überlegen Sie zuerst einmal, ob Sie die neue App von Lufthansa Cargo noch als ein Angebot in Ihrem Corporate Publishing Portfolio verstehen. Wenn nicht, starten Sie wie gewohnt Ihre Druckmaschinen und lesen bitte nicht weiter. Sollten Sie aber respektieren, dass aktive Medienarbeit schon heute eine neue Kernkompetenz Ihrer Kunden selbst sein wird, dann sollten Sie sich die Kommunikationsarbeit von Lufthansa Cargo genauer ansehen, auch wenn Sie mit Publikationen für den Markt der schnelldrehenden Konsumgüter Ihr Geld verdienen. Ist das noch Corporate Publishing?
Doch urteilen sie selbst: Lufthansa Cargo bietet den Kunden seit November diesen Jahres eine kostenlose Tracking-App für alle gängigen Smartphones an. Damit können sich Spediteure jederzeit über den Status ihrer Frachtsendungen informieren. Das System wurde von der Frachtfluggesellschaft für Blackberry-, iPhone- und Android-Endgeräte entwickelt und steht unter dem Suchbegriff „Lufthansa Cargo“ in den entsprechenden App Stores zur Verfügung. Die Frage muss erlaubt sein: Ist eine individualisierte Auskunft, die man jederzeit als Kunde über die aktuelle Leistung der Frachtfluggesellschaft erhalten kann, nicht ein Kommunikationsbeitrag, der einer klassischen Reportage im Corporate Publishing mindestens ebenbürtig ist?
Wer schafft hier eine zielgruppengenaue und bedürfnisgerechte Kommunikation?
Lufthansa Cargo hat zudem ihren Facebook-Auftritt neu gestaltet. Unter www.facebook.com/lufthansacargoag bietet die Airline die Möglichkeit, sich mit dem Unternehmen auszutauschen und zu vernetzen. Dort gibt es Dialogmöglichkeiten und vielfältige Informationen rund um die Luftfracht. Die Cargo-Kunden können sich am Gespräch mit und über Lufthansa beteiligen. Am 12. November um 21.31 Uhr gefiel die Lufthansa Cargo Facebook-Seite 1.769 Usern und 357 von ihnen haben sich darüber ausgetauscht. Von dort aus können sich die User auch verlinken: „100 years air cargo“,
„Be Lufthansa“, „Austrian Arlines“, „Swiss“, „Star Alliance“, und natürlich mit „Lufthansa“.
Allein die Facebookseite für die Fluggäste der Lufthansa gefiel zu diesem Zeitpunkt 420.319 Usern und 42.634 Lufthansa-Fans diskutierten darüber.
Die Herausforderung für die Verlagsbranche besteht darin, dass sie Corporate Publishing nicht mehr allein definieren kann. Schon heute geht es vielen Auftraggebern vor allem um ein effektives Beziehungsmanagement mit Kunden und Mitarbeitern und nicht mehr um ihre Information oder Unterhaltung. Der Return on Investment der Kommunikationsarbeit mit Kunden und Mitarbeitern wird heute an ihrem Feedback gemessen und nicht mehr nur allein nach Auflagenhöhen oder Reichweite. Ein automatisches Monitoring aller Interaktionen der Kunden mit den Unternehmen bietet eine kostenlose Erfolgskontrolle in der interaktiven Welt des Internets.
Wird der Vertrieb zum neuen Partner des Corporate Publishing?
Für Unternehmen ist der Erfolg des Internets ein ökonomischer Glücksfall. Ihre Kunden bringen eigene Technologien mit, bezahlen für die Nutzung des Internets und vor allem bringen sie ihre Zeit ein. Sie sind freiwillig bereit, unbezahlte Kommunikationsarbeit zu leisten. Ihre Medienarbeit ermöglicht eine Rationalisierungswelle in den Verwaltungen. Vom Onlinebuchen bis zum Selfboarding werden aus Fluggästen der Luftfahrtunternehmen kostenlose Mitarbeiter auf Zeit. So werden bei der Lufthansa die papierlosen Bordkarten über das Internet zugestellt oder als Quick Response Code auf das Handy geladen. Unter diesen neuen Medienbedingungen entstehen neue Organisationen. Das muss das Herz jeden Controllers höher schlagen lassen. Deshalb werden die Marketing- und Kommunikationsabteilungen nicht mehr die alleinigen Gatekeeper des Corporate Publishings bleiben können.
Bestimmt Hyperconnectivity die Innovationskraft der Unternehmen?
Das neue Produkt für die Fluggäste der Lufthansa ist ein Wi-Fi Angebot auf den Transatlantikflügen und heißt Airmail. Das Programm ermöglicht es online zu arbeiten, zu twittern, natürlich zu mailen und zu surfen, wenn man über den Wolken schwebt. Der Austausch von Informationen in der Datenwelt unterscheidet sich grundlegend von der Veröffentlichung journalistischer Produkte. Internet-Plattformen definieren die Aufgaben von Corporate Publishing radikal neu. Sie kalkulieren soziale Beziehungen als Programm. Sie bilden einen Knoten im Netzwerk zwischen den Unternehmen und deren potentiellen Kunden. Wie lange es da noch das gedruckte Lufthansa Magazin geben wird, steht deshalb nicht in den Sternen, sondern hängt von der Verbreitung von Smartphones und Tablet-Computern unter den Passagieren ab.
Sind Konsumenten die Gewinner des Strukturwandels?
Kunden gewinnen an Macht. Je mehr Menschen sich als Mittelpunkt ihrer eigenen Netzwerke verstehen, desto stärker werden sich die Macht- und Kontrollverhältnisse in der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft verändern. Entscheidungen werden durch permanentes Abstimmen geleitet. So zeigt der Baumarkt Hornbach neuerdings die Filialverfügbarkeit und Preise seiner Produkte bei entsprechenden Nachfragen auf der Suchmaschine von Google an. Bei der Funktion „Local Availability“ wird bei der Suche nach einem Produkt sowohl der Online-Shop als auch „Geschäfte in der Nähe“ mit ihrem Angebot angezeigt. Die Informationen fließen aus dem Hornbach-Warenwirtschaftssystem automatisch zu Google. Der Konsument steht im Mittelpunkt der neuen Kommunikationsmodelle. Der Open Data Showroom wird das Corporate Publishing verändern. Es lohnt sich, die Wünsche des Kunden zu fokussieren, wenn man das Corporate Publishing von morgen plant.
Macht Haltung Sinn?
„Mache es zu deinem Projekt“ - das ist der Mythos den Hornbach kommuniziert. Es geht nicht mehr um Bohrmaschinen oder Dachpfannen, schon gar nicht um Preise und Rabatte, sondern um Helden und ihre Welt, die sie bauen. Die Baumarktkette bietet Serviceangebote für Mut, Haltung und Selbstbewusstsein. Nebenbei verkauft man Baumaterial und macht mehr Geld als vergleichbare Anbieter. Der Quellcode des Erfolges ist ein Wertesystem, dass von der Google-Meldung des Lagerbestandes von Schrauben bis zum märchenhaften Fernsehfilm in Überlänge oder einem opulenten Bilderbuch die Story des Selbermachens immer wieder neu erzählt. Wo die Kontrolle über Medien aufhört, beginnt Vertrauen. Es entsteht, wo Werte geteilt werden.
Steigern Unternehmenswerte die Effizienz der Kommunikation?
Vertrauen wird zum entscheidenden Erfolgskriterium unternehmerischen Handelns. Für Unternehmen geht es zukünftig stärker darum, die Idee, warum das Unternehmen überhaupt existiert, mit den Wünschen von Konsumenten zusammen zu bringen. Wo sich beide treffen, entsteht eine Verbundenheit, ein Knoten im Netzwerk der aus einem gemeinsamen Wollen besteht. Die meisten Unternehmen wissen aber gar nicht, warum sie abseits von Profitzielen, existieren. Laut einer aktuellen Studie des Hernstein Management Instituts haben über die Hälfte der Unternehmen keine Werte definiert – weder in ihrer Vision noch in ihrer Mission. Das ist für die Medienrealität der Netzwerkgesellschaft nicht genug.
Wird Corporate Publishing noch professioneller?
Leser, Zuschauer, User und Spieler sind anspruchsvoller geworden, seitdem sie selber mailen, posten, twittern, Videos hochladen und Daten verlinken. Das stellt Medienunternehmen, Journalisten, Fotografen, Filmer, Designer und Programmierer vor neue Aufgaben. Es geht um mehr Professionalität, um eine Einzigartigkeit der Angebote und um die Steigerung der Inszenierung von Geschichten in Texten, Bildern, Videos, Design sowie den Herstellungsverfahren und Programmen.
Dem Corporate Publishing von heute stehen Technologieunternehmen von morgen gegenüber, die neue Spielregeln der Vernetzung diktieren, aber auch neue Geschäftsfelder eröffnen. Die pragmatische verlegerischen Idee „Das können wir auch“ muss sich an der innovativen technologischen Realität des „Das können wir besser“ der digitalen Startups messen lassen. Eine Hyperspezialisierung von Corporate Publishing wird wahrscheinlicher, je klarer die Unternehmen ihre Medienarbeit als Grundvoraussetzung für den Markt begreifen. Corporate Publishing wird in Zukunft noch wichtiger, denn erfolgreiche Unternehmen stehen für eine Idee, die größer ist als Umsatz und Gewinn. Sie werden ihre Produkte und Services in Kommunikationshüllen verpacken und Corporate Publishing neu erfinden.
Peter Wippermann, Gründer Trendbüro und Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste, Essen